aus wistra 12/2025
Das Ministerkomitee des Europarats hat am 14.5.2025 das neue Übereinkommen des Europarats über den Schutz der Umwelt durch das Strafrecht angenommen. Es wird am 3.12.2025 in Straßburg zur Zeichnung aufgelegt. Eine von der Europäischen Kommission erstellte deutsche Textfassung findet sich in den Beschlussvorschlägen der Kommission zur Unterzeichnung bzw. zum Abschluss (Ratifizierung) – im Namen der EU – des Übereinkommens (COM[2025] 433 final und COM[2025] 434 final, jeweils Anhang 1; diese Textfassung unterliegt noch einer Revision und verbindlich für die EU werden ggf. die dem vom Rat angenommenen Beschluss beigefügten Sprachversionen sein). Das Übereinkommen wird begleitet von einem Erläuternden Bericht (Europaratsdokument CM[2025]52-addfinal), der nur in den Europaratssprachen Englisch und Französisch vorliegt.
Die Verhandlungen über das Übereinkommen wurden von einem dafür eigens eingesetzten Ausschuss (Committee of Experts on the Protection of the Environment through Criminal Law [PC-ENV]) im April 2023 aufgenommen und im Oktober 2024 beendet. Beratungsgrundlage war ein vom Sekretariat des Europäischen Ausschusses für Strafrechtsfragen (European Committee on Crime Problems – CDPC) erstellter Übereinkommensentwurf (PC-ENV[2023]04).
1. Das Vorgängerübereinkommen von 1998
Das Übereinkommen ersetzt das gleichnamige Europaratsübereinkommen von 1998 (Sammlung Europäischer Verträge, Nr. 172; s. dazu Knaut, Die Europäisierung des Umweltstrafrechts, 2005, S. 243 ff.), das nur von einem Staat (Estland) ratifiziert wurde, daher nie in Kraft getreten ist und als gescheitert gilt. Zum Inkrafttreten hätten mindestens drei Staaten ratifizieren müssen. Unterzeichnet haben das Übereinkommen insgesamt 14 Staaten einschließlich Deutschland.
Das Scheitern seines ersten Anlaufs hat den Europarat weitgehend unbeeindruckt gelassen. Die Organisation habe Pionierarbeit beim Umweltstrafrecht geleistet und sei für die Schaffung eines neuen Übereinkommens besonders gut aufgestellt, da ihre Konventionen generell als effizient gelten, heißt es in einer „Feasibility Study“, die der CDPC im Jahr 2022 zur Vorbereitung der Übereinkommensverhandlungen erstellt hatte (CDPC, Feasibility Study on the Protection of the Environment through Criminal Law, CDPC[2021]9 FIN, Abs. 22). Die Feasibility Study sollte auch der Frage nachgehen, warum das Vorgängerübereinkommen gescheitert ist, konnte darauf aber keine umfassende Antwort geben, da viele Mitgliedstaaten die Gründe für das Ausbleiben ihrer Unterzeichnung bzw. Ratifizierung nicht mehr hätten nachvollziehen können (Feasibilty Study, Abs. 11). Viele Delegation hätten angegeben, dass die Arbeiten der EU an ihrer ersten umweltstrafrechtlichen Richtlinie, die 1999 (also noch vor der Vergemeinschaftung des Strafrechts durch den Vertrag von Lissabon) erlassen wurde und die erste strafrechtliche EU‑Richtlinie überhaupt war, die Europaratskonvention möglicherweise überschattet hätten (Feasibility Study, Abs. 11). Auch aus Sicht der Bundesregierung war das Übereinkommen durch die EU‑Richtline überholt (s. BT‑Drucks. 20/427, s. auch die deutsche Stellungnahme im Feasibility Report, S. 32). Die Feasibility Study betont daher den Bedarf für eine enge Zusammenarbeit und Koordinierung mit der EU, die ihre von der Kommission am 15.12.2021 vorgeschlagene neue umweltstrafrechtliche Richtlinie am 11.4.2024, also gut ein halbes Jahr vor Abschluss der Europaratsverhandlungen, angenommen hatte.
Für den Erfolg oder Misserfolg des neuen Europaratsübereinkommens könnte jedoch noch ein weiterer Aspekt des Umweltstrafrechts wichtig sein: die Verwaltungsakzessorietät. Die Feasibility Study hebt hervor, dass das nationale Umweltstrafrecht der Europaratsmitgliedstaaten verwaltungsakzessorisch ausgestaltet sei („ancillary to administrative environmental law“), wobei es (wenige) Ausnahmen gebe, bei denen nicht auf die Verwaltungsrechtswidrigkeit des Handelns, sondern auf den eingetretenen Schaden abgestellt würde (Abs. 26). Das Übereinkommen solle ebenfalls einem verwaltungsakzessorischen Ansatz folgen, so die Feasibility Study (Abs. 26). Es muss dabei jedoch nur an das nicht harmonisierte Umweltverwaltungsrecht seiner Vertragsstaaten anknüpfen, da der Europarat (anders als die EU) das Umweltverwaltungsrecht seiner Mitgliedstaaten nicht harmonisiert. Das Übereinkommen kann seinen Vertragsstaaten daher nur vorgeben, dass sie bestimmte Verstöße gegen ihr nationales Umweltverwaltungsrecht pönalisieren müssen. Wie streng die zu bewehrenden umweltverwaltungsrechtlichen Vorschriften ausgestaltet sind bzw. ob sie überhaupt geschaffen werden, ist sehr weitgehend Sache der Vertragsstaaten (bzw. der EU im Falle der EU‑Mitgliedstaaten), die damit das Ob und Wie der Strafbarkeit grundsätzlich selbst in der Hand behalten. Die Anknüpfung der Strafbewehrung an Verstöße gegen nicht harmonisiertes Umweltverwaltungsrecht stellt die Übereinkommensvorgaben damit unter einen umfassenden Vorbehalt des nationalen Rechts und schwächt die angestrebte Angleichung des Umweltstrafrechts erheblich. Die durch das Übereinkommen entstehenden Pönalisierungsverpflichtungen könnte Vertragsstaaten später sogar davon abhalten, Umweltverwaltungsrecht zu schaffen oder zu verschärfen, um so als zu weitreichend empfundene Straftatbestände zu vermeiden. Die Feasibility Study (Abs. 13) deutet diese Herausforderung an und verweist auf die teilweise „autonom“ ausgestalteten Straftatbestände des Vorgängerübereinkommens („the lack of connection between the ... [criminal law and administrative law] in the 1998 Convention may have hindered its success“), setzt sich damit aber nicht weiter auseinander.
Die Frage der Verwaltungsakzessorietät wäre auch bei einem etwaigen VN-Übereinkommen zum Umweltstrafrecht ein Thema. Die Vertragsstaatenkonferenz des VN-Übereinkommens gegen die grenzüberschreitende organisierte Kriminalität (UNTOC) hat im Jahr 2024 in einer Resolution das Büro der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC) gebeten, die Möglichkeit, Machbarkeit und Verzüge eines umweltstrafrechtlichen Zusatzprotokolls zu prüfen (Conference of the Parties to the United Nations Convention against Transnational Organized Crime, Resolution 12/4, OP 5[c]).
2. Rolle der EU bei den Verhandlungen
Die von der Feasibility Study empfohlene enge Einbindung der EU bei den Übereinkommensverhandlungen hat stattgefunden. Der Rat der EU hat der Kommission ein Mandat erteilt, für die EU an den Verhandlungen teilzunehmen, was diese auch getan hat (Beschluss [EU] 2023/2170 des Rates vom 28.9.2023 zur Ermächtigung der Europäischen Kommission, im Namen der Europäischen Union an den Verhandlungen über ein Übereinkommen des Europarates teilzunehmen, das das Übereinkommen von 1998 über den Schutz der Umwelt durch das Strafrecht [SEV-Nr. 172] aufhebt und ersetzt; ABl. L 2023/2170 v. 16.10.2023).
Das Gewicht der EU bei den Verhandlungen ist nicht zu unterschätzen. Die EU stellt mit ihren 27 Mitgliedstaaten fast 60 % der 46 Mitgliedstaaten des Europarats. Zugleich verfügte die EU aufgrund der bereits fortgeschrittenen Arbeiten an der Richtline Umweltstrafrecht über eine intern abgestimmte und von den Mitgliedstaaten sehr weitgehend mitgetragene inhaltliche Position zum Umweltstrafrecht, die die EU durch ein Europaratsübereinkommen kaum in Frage stellen lassen konnte und wollte. Wesentliche Diskrepanzen zwischen Übereinkommen und Richtlinie hätten Nachverhandlungen bei der Richtlinie erforderlich machen können, was keine ernsthafte Option gewesen wäre. Bei den Übereinkommensverhandlungen sind zudem nicht alle Europaratsmitgliedstaaten gleichermaßen aktiv engagiert oder auch nur vertreten, was das Gewicht des mit einer Stimme sprechenden EU‑Blocks noch weiter erhöht.
3. Wesentliche Inhalte
Wenig überraschend ähnelt das Übereinkommen daher sehr stark der EU‑Richtlinie. Es dürfte für Deutschland keine über die Richtlinie hinausgehenden Umsetzungsmaßnahmen erfordern.
Das Übereinkommen ist in 11 Kapitel mit insgesamt 58 Artikeln unterteilt.
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Nach Kapitel I (Zweck, Anwendungsbereich, Begriffsbestimmungen und Nichtdiskriminierung) ist Zweck des Übereinkommens, die Umweltkriminalität wirksam zu verhüten und zu bekämpfen, die innerstaatliche und internationale Zusammenarbeit bei der Bekämpfung von Umweltkriminalität zu fördern und auszubauen, Mindestvorschriften festzulegen, die den Staaten als Richtschnur für ihre innerstaatlichen Rechtsvorschriften dienen, und dadurch den Schutz der Umwelt zu fördern und zu verbessern (Art. 1).
Um seine wirksame praktische Umsetzung durch die Vertragsparteien sicherzustellen, sieht dieses Übereinkommen ein Monitoring (Überwachungsmechanismus) vor (Art. 1[2]), das aber deutlich schwächer ausgestaltet ist als noch im Übereinkommensentwurf vorgesehen (s. PC-ENV[2023]04, Art. 41) und kein eigenes Evaluierungsgremium und Evaluierungsverfahren vorsieht. Vielmehr soll der Ausschuss der Vertragsstaaten das Monitoring übernehmen und ein Verfahren für die Bewertung der Durchführung des Übereinkommens festlegen (Art. 48[1]).
Die Regelung, dass das Übereinkommen in Friedenszeiten und in Situationen von bewaffneten Konflikten, Krieg oder Besatzung Anwendung findet (Art. 2[2]), ist für ein strafrechtliches Übereinkommen ungewöhnlich und dürfte auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine zurückgehen.
Art. 3(1) enthält Definitionen der Begriffe „rechtswidrig“, „Wasser“, „Ökosystem“ und „Abfälle“. Nach der Rechtswidrigkeitsdefinition wird die Verwaltungsakzessorietät durchbrochen bei Genehmigung, die auf betrügerische Weise oder durch Korruption, Erpressung oder Zwang erlangt worden sind. Eine Regelung zur Unbeachtlichkeit von Genehmigungen, die offensichtlich gegen die einschlägigen materiellrechtlichen Anforderungen verstoßen, wie sie in Art. 3(2) der EU‑Richtlinie vorgesehen ist, fehlt in dem Übereinkommen.
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Kapitel II ist „Integrierten Leitlinien und Datenerhebung“ gewidmet und gibt insbesondere die Erstellung von Strategien zur Verhütung und Bekämpfung von Umweltkriminalität vor (Art. 6). Außerdem sollen die Vertragsstaaten Leitlinien verabschieden, Koordinierung und Informationsaustausch auf strategischer und operativer Ebene sicherstellen (Art. 5) sowie für Ressourcen (Art. 7), Fortbildung (Art. 8), Statistiken und Forschung (Art. 10) sorgen.
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Kapitel III regelt die Prävention und verlangt insbesondere Informations- und Sensibilisierungskampagnen (Art. 11).
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Kern des Übereinkommens ist Kapitel IV (Materielles Strafrecht) mit seinen in sechs Abschnitte unterteilten Pönalisierungsvorgaben. Weitere Abschnitte behandeln die „Besonders schwere Straftat“ und die „Allgemeinen strafrechtlichen Bestimmungen“. Voraussetzung für die Strafbarkeit ist in allen Fällen, dass die Handlung „rechtswidrig“ (Art. 3[a]) ist (Verwaltungsakzessorietät) und dass sie geeignet ist, schwere, genauer bezeichnete Schäden hervorzurufen.
Die Mitgliedstaaten müssen unter diesen Voraussetzungen Handlungen unter Strafe stellen, die sich beziehen auf: rechtswidrige Umweltverschmutzung (Art. 12), Inverkehrbringen von Erzeugnissen unter Verstoß gegen Umweltanforderungen (Art. 13), chemische Stoffe (Art. 14), radioaktives Material bzw. radioaktive Stoffe (Art. 15), Quecksilber (Art. 16), ozonabbauende Stoffe (Art. 17), fluorierte Treibhausgase (Art. 18), Sammlung, Behandlung, Beförderung, Verwertung, Beseitigung bzw. Verbringung von Abfällen (Art. 19), Betrieb bzw. Schließung von Anlagen, in denen eine gefährliche Tätigkeit ausgeübt wird (Art. 20), Betrieb bzw. Schließung von Anlagen, in denen sich gefährliche Stoffe befinden (Art. 21), Recycling von Schiffen (Art. 22), von Schiffen ausgehende Einleitung von Schadstoffen (Art. 23), Entnahme von Oberflächen- bzw. Grundwasser (Art. 24), Handel mit rechtswidrig geschlagenem Holz (Art. 25), Bergbau (Art. 26), Beeinträchtigung von und Handel mit geschützten wild lebenden Tier- und Pflanzenarten (Art. 27, 28), Schädigung von Lebensräumen innerhalb eines geschützten Gebietes (Art. 29) und invasive gebietsfremde Arten (Art. 30).
Darüber hinaus definiert das Übereinkommen ähnlich wie die EU‑Richtlinie eine „besonders schwere Straftat“ (Art. 31), die gegeben ist, wenn ein Ökosystem von beträchtlicher Größe oder ökologischem Wert oder ein Lebensraum innerhalb eines geschützten Gebiets oder die Luft‑, Boden- oder Wasserqualität zerstört oder entweder irreversibel oder dauerhaft großflächig und erheblich geschädigt wird. Ein „Ökozid-Tatbestand“ wird nur in der Präambel erwähnt, die auf eine Empfehlung der Parlamentarischen Versammlung des Europarats zur Anerkennung eines solchen Tatbestands hinweist.
Die Verantwortlichkeit juristischer Personen ist in Art. 34 nach dem üblichen Muster von Europaratsübereinkommen geregelt (s. CDPC, Model Provisions for Council of Europe Criminal Law Convention, CDPC [2014] 17 Fin, S. 16 f.) dem das deutsche Recht (§§ 30, 130 OWiG) entspricht.
Die Regelungen zu den Rechtsfolgen für natürliche und juristische Personen sind wenig konkret. Verlangt werden wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen, die der Schwere der Straftat Rechnung tragen (Art. 35[1][2]). Vorgaben zur Mindesthöhe von Höchststrafen für natürliche bzw. Höchstgeldbußen für juristische Personen, wie sie die EU‑Richtlinie enthält, fehlen. Bei den Regelungen für juristische Personen werden neben wahlweise strafrechtlichen und nicht strafrechtlichen Geldsanktionen weitere Maßnahmen aufgezählt, die die Mitgliedstaaten vorsehen können, aber nicht vorsehen müssen (Art. 35[2]). Auch die Schaffung von Regelungen zur Wiederherstellung der Umwelt müssen die Vertragsstaaten nur in Erwägung ziehen (Art. 35[4]). Bei den erschwerenden Umständen (Art. 36) müssen die Mitgliedstaaten zumindest eines der aufgezählten Kriterien vorsehen. Regelungen zur Berücksichtigung von einschlägigen Vorstrafen aus anderen Vertragsstaaten sind nur in Erwägung zu ziehen (Art. 37).
Weitere Regelungen betreffen Anstiftung, Beihilfe und Versuch (Art. 32) und die Gerichtliche Zuständigkeit (Art. 33), also das Rechtsanwendungsrecht in grenzüberschreitenden Fällen.
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Kapitel V gilt „Ermittlung, Strafverfolgung und Verfahrensrecht“ und enthält Regelungen zur Einleitung und Fortsetzung von Verfahren (Art. 38) und zum Recht auf Teilnahme an einem Verfahren (Art. 39).
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Das Kapitel VI „Internationale Zusammenarbeit“ enthält Regelungen zur strafrechtlichen Rechts- und Vollstreckungshilfe, zum Informationsaustausch und zum Datenschutz (Art. 40 bis 42).
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Die „Schutzmaßnahmen“ in Kapitel VII betreffen die „Stellung der Opfer bei strafrechtlichen Ermittlungen und in Strafverfahren“ (Art. 43) sowie den Zeugen- und Hinweisgeberschutz (Art. 44, 45).
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Kapitel VIII (Überwachungsmechanismus) regelt Zusammensetzung und Aufgaben des Ausschusses der Vertragsparteien. Neben den Vertragsparteien können als Beobachter an den Ausschusssitzungen auch Vertreter der Zivilgesellschaft (insbesondere NGOs) teilnehmen (Art. 47).
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Kapitel IX regelt das Verhältnis zu anderen Quellen des Völkerrechts.
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Kapitel X enthält das Verfahren zur Änderung des Übereinkommens.
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Zu den Schlussbestimmungen (Kapitel XI) gehört mit Art. 51(2) eine sog. „disconnection clause“. Diejenigen Vertragsparteien, die EU‑Mitgliedstaaten sind, wenden in ihren Beziehungen untereinander die EU‑Vorschriften an, die die in den Anwendungsbereich dieses Übereinkommens fallenden Fragen betreffen.
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Inkraft treten wird das Übereinkommen, sobald es zehn Staaten unterzeichnet und ratifiziert haben, wobei mindestens acht davon Mitgliedstaaten des Europarats sein müssen (Art. 53[3]). Weitere Regelungen betreffen die Beilegung von Streitigkeiten (Art. 52), den Beitritt zu dem Übereinkommen, der grundsätzlich auch für Staaten möglich ist, die nicht Mitglied des Europarats sind (Art. 54), den räumlichen Geltungsbereich (Art. 55) sowie Vorbehalte (Art. 56), die nach Art. 56(2) hinsichtlich der internationalen gerichtlichen Zuständigkeit (also der Anwendbarkeit des nationalen Strafrechts) bei von eigenen Staatsangehörigen begangenen Straftaten (Art. 33[1][d]) sowie für EU‑Mitgliedstaaten nach Art. 56(3) hinsichtlich der Tatbestandsmerkmale „rechtswidrig“, „innerstaatliches Recht“, „innerstaatliche Bestimmungen“, „geschützt“ und „Anforderung“ (Art. 13, 14, 19 bis 22, 26 bis 30) möglich sind.
4. Unterzeichnung und Ratifizierung
Die Kommission hat dem Rat bereits Vorschläge für Beschlüsse zur Unterzeichnung bzw. zum Abschluss (Ratifizierung) – im Namen der EU – des Übereinkommens vorgelegt (COM[2025] 433 final bzw. COM[2025] 434 final). Die Kommission nimmt dabei eine ausschließliche EU‑Zuständigkeit an, die nach Art. 3(2) AEUV gegeben ist „für den Abschluss internationaler Übereinkünfte ..., soweit der Abschluss gemeinsame Regeln beeinträchtigen oder deren Tragweite verändern könnte“. Bei einer ausschließlichen Zuständigkeit wird nur die EU‑Vertragspartei („EU‑only Agreement“), nicht dagegen die EU‑Mitgliedstaaten. In diesem Fall könnte Deutschland das Übereinkommen weder unterzeichnen noch ratifizieren und wäre damit z.B. auch nicht selbst bei der Vertragsstaatenkonferenz vertreten, was ein Novum für den Bereich der strafrechtlichen Übereinkommen wäre.
Die Kommission begründet die ausschließliche EU‑Kompetenz damit, dass sich der Anwendungsbereich des Europaratsübereinkommens weitgehend mit dem der EU‑Richtlinie Umweltstrafrecht decke und daher das Übereinkommen gemeinsame Regeln der Union beeinträchtigen oder deren Tragweite verändern könnte (COM[2025] 433 final und COM[2025] 434 final, jeweils S. 8 f.). Tatsächlich sind die Übereinstimmungen zwischen Richtlinie und Übereinkommen sehr groß. Stellt man darauf ab, dass Übereinkommen und Richtlinie dieselben Gegenstände regeln, dann wäre eine Beeinträchtigungsgefahr und damit eine ausschließliche Zuständigkeit zu bejahen. Ein Übereinkommen, das das Umweltstrafrecht regeln soll, kann dies anders tun als die Richtlinie. Weichen die Regelungen voneinander ab oder widersprechen sie sich gar, so kommen die Mitgliedstaaten in die Situation, dass sie sich entweder an die Richtlinie oder das Übereinkommen halten können. Gerade das soll die ausschließliche EU‑Zuständigkeit vermeiden. Stellt man dagegen auf die konkreten Regelungen ab, dann schließt eine inhaltliche Übereinstimmung von Richtlinie und Übereinkommen eine Beeinträchtigung aus. Hinzu kommt, dass sowohl das Übereinkommen als auch die Richtlinie nur Mindestregelungen enthalten, über die die Vertrags- bzw. Mitgliedstaaten jeweils hinausgehen können. Wenn das Übereinkommen weniger ambitioniert ist als die Richtlinie, so führt das nicht zu Konflikten, da das Übereinkommen die Vertragsstaaten nicht daran hindert, weitergehende Tatbestände und empfindlichere Rechtsfolgen vorzusehen. Der EuGH hat 1993 in einem Gutachten gem. Art. 228 EGV zur ausschließlichen EU‑Zuständigkeit für den Abschluss eines Arbeitsschutzübereinkommens der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO-Übereinkommen über Sicherheit bei der Verwendung chemischer Stoffe bei der Arbeit von 1990) zur Beeinträchtigungsgefahr bei Mindestregelungen ausgeführt (ECLI:EU:C:1993:106ECLI:EU:C:1993:106, Rz. 18):
„Erläßt nämlich die Gemeinschaft weniger strenge Rechtsvorschriften, als sie ein IAO-Übereinkommen vorsieht, so können die Mitgliedstaaten gemäß Artikel 118a Absatz 3 Maßnahmen zum verstärkten Schutz der Arbeitsbedingungen treffen oder zu diesem Zweck das IAO-Übereinkommen anwenden. Erläßt andererseits die Gemeinschaft strengere Normen, als sie ein IAO-Übereinkommen vorsieht, so steht der vollen Anwendung des Gemeinschaftsrechts durch die Mitgliedstaaten nichts entgegen, da die Mitglieder der IAO nach Artikel 119 Absatz 8 der IAO-Verfassung weitergehende Maßnahmen treffen können, als sie Übereinkommen und Empfehlungen der IAO vorsehen.“
Wendet man diese Grundsätze auf das Europaratsübereinkommen an, so dürfte sich eine ausschließliche EU‑Zuständigkeit nur schwer begründen lassen und es würde bei einer geteilten Zuständigkeit von EU und Mitgliedstaaten bleiben (Art. 4[2][j] AEUV – Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts).
Mit Blick auf den Zeichnungstermin am 3.12.2025 hat sich der Rat am 1.12.2025 mit dem Dossier und einem Beschlussvorschlag des Ausschusses der Ständigen Vertreter befasst (Ratsdokumente 15840/25, 15512/25 + Add 1, 15294/25, 15396/25).
Oberstaatsanwalt beim BGH (Referatsleiter im BMJV) Markus Busch LL.M. (Columbia University), Berlin
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