aus wistra 3/2025
Die ungarische Ratspräsidentschaft hat dem Rat der Justiz- und Innenminister bei seiner Tagung im Dezember 2024 zwei Berichte zur Zukunft des europäischen Strafrechts vorgelegt. Das Ratsdokument 16102/24 enthält einen Überblick über die bereits unter der vorangegangenen belgischen Ratspräsidentschaft eingeleitete Diskussion zur Zukunft des europäischen Strafrechts, während sich der zweite Präsidentschaftsbericht (Ratsdokument 16103/24) mit der Aktualisierung der strafrechtlichen Musterbestimmungen aus dem Jahr 2009 befasst. Beide Papiere liegen bislang nur auf Englisch vor.
1. Bisherige Beratungen zur Zukunft des Europäischen Strafrechts
Der Diskussionsbericht (Ratsdokument 16102/24) befasst sich vorwiegend mit der gegenseitigen Anerkennung (S. 4), der gegenseitigen Zulassung von Beweismitteln (S. 9), Mindestvorschriften für das Strafverfahrensrecht (S. 9) und dem Informationszugriff für Ermittlungszwecke.
Zur vorangegangenen Diskussion s. die „Schlussfolgerungen des Rates über Musterbestimmungen“ als Orientierungspunkte für die Beratungen des Rates im Bereich des Strafrechts (Ratsdokument 16542/2/09 REV 2); Mitteilung der Kommission: Auf dem Weg zu einer europäischen Strafrechtspolitik: Gewährleistung der wirksamen Durchführung der EU-Politik durch das Strafrecht (KOM/2011/0573 endg.); Entschließung des Europäischen Parlaments vom 22.5.2012 zum EU-Ansatz zum Strafrecht (2010/2310[IN]); Bericht des Ratsvorsitzes, Zukunft des materiellen Strafrechts in der EU – Orientierungsaussprache (Ratsdokument 8919/19); Schlussfolgerungen des Rates zum Thema „Die Zukunft des EU-Strafrechts: Empfehlungen für das weitere Vorgehen“ (Ratsdokument 10984/24); zum Europäischen Strafrecht allgemein s. Brodowski, Die Evolution des Strafrechts, 2023, 443 ff.
Aus dem Diskussionsbericht sind aus Sicht des materiellen Strafrechts folgende Punkte hervorzuheben:
a) Skepsis gegenüber neuer Gesetzgebung
Die Präsidentschaft betont, dass den Mitgliedstaaten vor allem die wirksame Umsetzung des vorhandenen EU-Regelwerks am Herzen liege, während der Wunsch nach neuer EU-Gesetzgebung sich auf wenige ausgewählte Bereiche beschränke (S. 2). Als übergreifenden Aspekt hätten die Delegationen eine stärkere Konzentration auf die bessere Umsetzung und Anwendung des vorhandenen Regelwerks durch nicht-legislative Maßnahmen benannt (S. 3). Bevor neue Gesetzgebungsvorschläge gemacht würden, sei ein besonderes Augenmerk auf die Frage der Wirksamkeit des vorhandenen Regelwerks zu richten, insbesondere mit Hilfe gegenseitiger Evaluierungen (S. 3). Bei der Erarbeitung neuer Gesetzgebung sei das vorhandene Regelwerk umfassend zu berücksichtigen. Maßnahmen unterhalb der Gesetzgebung (wie etwa Handbücher, Empfehlungen und Bereitstellung von Mitteln) könnten ebenfalls zu einer besseren Umsetzung beitragen (S. 3). Gesetzgebungsvorschläge müssten ggf. auf Bedürfnissen der Rechtsanwendungspraxis basieren (S. 3).
b) Konsistenz und Koordinierung
Bereits die Ratsschlussfolgerungen vom Juni 2024 zum materiellen Strafrecht (Ratsdokument 10984/24) hätten die Bedeutung von Stringenz („consistency“) betont (S. 3). Das gelte auch für andere Bereiche des EU-Strafrechts (S. 3). Eine mögliche Zersplitterung des EU-Strafrechts durch Rechtsakte, die nicht mit der nötigen Fachkenntnis erarbeitet und beraten worden seien, bereite Bedenken (S. 4). Verfahrensregelungen (etwa zu Ermittlungen und Beweismitteln) würden häufig in Rechtsakte für andere Bereiche (wie etwa das materielle Strafrecht) aufgenommen und man dürfe dabei Querschnittsfragen des Verfahrensrechts nicht aus dem Blick verlieren, sondern müsse auf stimmige Begrifflichkeiten achten (S. 4). Zu einer stimmigen Strafrechtspolitik („coherent criminal justice policy“) gehörten – im Rahmen der bestehenden EU-Kompetenz – auch Präventionsfragen (S. 4; als Beispiel für besonders weitreichende Präventionsregelungen s. Art. 3 bis 6 des Kommissionsvorschlags für eine Richtlinie zur Bekämpfung der Korruption vom Mai 2023).
c) Schaffung von Mindestvorschriften für das materielle Strafrecht
Bei der Diskussion sei auch auf bestimmte Kriminalitätsformen Bezug genommen worden, bei denen sich eine materiell-rechtliche Harmonisierung anbiete, um mit der Kriminalitätsentwicklung Schritt zu halten und sicherzustellen, dass die verfahrensrechtlichen Instrumente wie der Europäische Haftbefehl und die Europäische Ermittlungsanordnung eingesetzt werden könnten (S. 10). Der Bericht nimmt zudem Bezug auf die (erfolglose) Initiative der Kommission zur Erweiterung der Eurocrimes-Liste des Art. 83(1) AEUV um „Hassverbrechen“ und „Hassrede“ (S. 10). Einige Delegationen hätten eine Aktualisierung des Rahmenbeschlusses zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität von 2008 (2008/841/JI) gefordert (S. 10). Mit dem Waffenhandel gebe es zudem noch einen Kriminalitätsbereich aus der Eurocrimes-Liste des Art. 83(1) AEUV, der noch nicht auf EU-Ebene pönalisiert worden sei (S. 11). Die Kommission arbeite derzeit an einer Folgenabschätzung für eine mögliche Gesetzesinitiative zur Schließung dieser Lücke (S. 11). Außerdem habe es Forderungen gegeben, die Strafbewehrung von Verstößen gegen die Fälschung von Arzneimitteln und von anderen Verletzungen des Rechts am geistigen Eigentum auf EU-Ebene anzunähern (S. 11; wofür Art. 83[2] AEUV herangezogen werden müsste).
2. Mustervorschriften
Der zweite Bericht (Ratsdokument 16103/24) befasst sich mit der Aktualisierung der Mustervorschriften von 2009 (als Ratsdokument 16542/2/09 veröffentlicht). In der Einleitung betont die Präsidentschaft den ultima-ratio-Charakter des Strafrechts, das zugleich den Verhältnismäßigkeits- und Subsidiaritätsgrundsatz wahren müsse (S. 3). Zur Verbesserung der Rechtssicherheit sei außerdem jeweils eine klare Rechtsgrundlage aus dem AEUV erforderlich. Die Mustervorschriften seien als Werkzeugkasten zu verstehen, der durch einen systematischen und flexiblen Ansatz die Ratsberatungen bei komplexen strafrechtlichen Fragen unterstützen solle und zu Einheitlichkeit und Effizienz der Gesetzgebung beitragen könne, ohne dass die Musterbestimmungen verbindlich sein sollten (S. 2). Der Werkzeugkasten biete zugleich eine wichtige Grundlage für den Austausch mit den Ko-Gesetzgebern in Europäischem Parlament und Kommission über gesetzgeberische oder strafrechtspolitische Fragen (S. 2). Aus Sicht des Rats sollten zukünftige Rechtsakte ggf. soweit wie möglich den Mustervorschriften folgen.
Die Präsidentschaft betont aber zugleich, dass die jeweilige Rolle der EU-Organe im Gesetzgebungsverfahren respektiert werden müsse (S. 3). Mit der Kommission war jedenfalls eines dieser Organe in der Vergangenheit von Mustervorschriften aus dem Rat nur wenig begeistert. Zu den Mustervorschriften von 2009 gab die Kommission zu Protokoll (Ratsdokument 16798/09), sie teile zwar voll und ganz die Auffassung, dass die Kohärenz der Strafrechtsbestimmungen der EU gewährleistet werden müsse, die Leitlinien und Musterbestimmungen des Rates seien jedoch verfrüht und führten zu einer verengten Auslegung von Art. 83 AEUV. Der Rat lege damit einseitig einen Rahmen für die künftige Gesetzgebung fest, dem weder die Kommission noch das Europäische Parlament zugestimmt hätten. Die Kommission erklärte weiter, dass die Leitlinien und Musterbestimmungen ihr Initiativrecht aus dem AEUV nicht beschnitten und sie dieses Recht sorgsam und auf Grundlage einer Folgenabschätzung nach Durchführung angemessener Konsultationen wahrnehmen werde.
Dass die Kommission von den Mustervorschriften des Rats nicht überzeugt war, zeigte sich auch in ihren Legislativvorschlägen. Die Mustervorschriften von 2009 nehmen bei den Strafen für natürliche Personen Bezug auf die Ratsschlussfolgerungen von 2002 über einen Ansatz zur Angleichung der Strafen (Ratsdokument 9141/02). Darin sind nur Mindesthöchststrafen vorgesehen. Es soll also allenfalls vorgegeben werden, wie hoch die Höchststrafe für ein bestimmtes Delikt mindestens sein muss. Die Höhe von Mindeststrafen, also die Untergrenze des Strafrahmens, sollen die Mitgliedstaaten dagegen selbst festlegen, ohne an ein bestimmtes Mindestmaß gebunden zu sein. Unbeirrt davon schlug die Kommission noch 2017 für Straftaten zum Nachteil der finanziellen Interessen der EU nicht nur Mindesthöchststrafen, sondern auch Mindestmindeststrafen vor (Art. 7 des Kommissionvorschlags für einen Richtlinie über die strafrechtliche Bekämpfung von gegen die finanziellen Interessen der Europäischen Union gerichtetem Betrug, COM[2012] 363 final). Sie konnte sich damit aber im Gesetzgebungsverfahren nicht durchsetzen (s. dazu Busch, eucrim 2021, 182) und gab bei späteren Richtlinienvorschlägen die Forderung nach Mindestmindeststrafen auf.
Der Annex des Präsidentschaftsberichts enthält Musterbestimmungen zu Mindesthöchststrafen und Nebenfolgen für natürliche Personen (S. 4), Anstiftung, Beihilfe und Versuch (S. 5), erschwerende und mildernde Umstände (S. 5), Verantwortlichkeit juristischer Personen (S. 6), Sanktionen und Nebenfolgen für juristische Personen (S. 7) und Strafanwendungsrecht (S. 9). Die Regelungen sind sehr weitgehend an die Richtlinie (EU) 2024/1203 über den strafrechtlichen Schutz der Umwelt (Richtlinie Umweltstrafrecht) angelehnt und weichen damit erheblich ab von den damaligen Vorschlägen von Kommission und Europäischem Parlament (s. dazu Busch, wistra 2024 Heft 1, R9).
Wiedergegeben werden sollen die Regelungen zur Verantwortlichkeit und Sanktionierung juristischer Personen. Die Musterregelungen „D“ und „E“ haben folgenden Wortlaut (Übersetzung durch Verfasser):
„D. Verantwortlichkeit juristischer Personen
1. Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass juristische Personen für die in dem/den [Artikel/n ...] genannten (Straf-)Taten verantwortlich gemacht werden können, wenn eine solche Straftat zugunsten dieser juristischen Personen von einer Person begangen wurde, die auf der Grundlage eines der folgenden Umstände eine leitende Stellung innerhalb dieser juristischen Person innehat und die entweder allein oder als Teil eines Organs der betroffenen juristischen Person gehandelt hat („Leitungsperson“):
(a) einer Befugnis zur Vertretung der juristischen Person,
(b) der Befugnis, Entscheidungen im Namen der juristischen Person zu treffen, oder
(c) einer Kontrollbefugnis innerhalb der juristischen Person.
2. Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass juristische Personen für die in dem/den [Artikel/n ...] genannten (Straf-)Taten verantwortlich gemacht werden können, wenn mangelnde Überwachung oder Kontrolle durch eine Leitungsperson die Begehung einer der in dem/den [Artikel/n ...] genannten Straftat zugunsten der juristischen Person durch eine ihnen unterstelle Person ermöglicht hat.
3. Die [strafrechtliche] Verantwortlichkeit juristischer Personen nach den Abs. 1 und 2 des vorliegenden Artikels schließt die Möglichkeit eines strafrechtlichen Verfahrens gegen natürliche Personen als Täter, Anstifter oder Gehilfen bei einer Straftat im Sinne des/der [Artikel/s ...] nicht aus.
E. Sanktionen gegen juristische Personen
1. Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass bei einer im Sinne von [Artikel ...] verantwortlichen juristischen Person die Straftat mit wirksamen, verhältnismäßigen und abschreckenden strafrechtlichen oder nichtstrafrechtlichen Sanktionen oder Maßnahmen geahndet werden kann. Wirksame, verhältnismäßige und abschreckende strafrechtliche oder nichtstrafrechtliche Sanktionen oder Maßnahmen umfassen Geldstrafen oder Geldbußen und können andere strafrechtliche oder nichtstrafrechtliche Sanktionen oder Maßnahmen umfassen, darunter:
(a) den Ausschluss von öffentlichen Zuwendungen oder Hilfen;
(b) den Ausschluss vom Zugang zu öffentlicher Finanzierung, darunter auch Ausschreibungsverfahren, Beihilfen und Genehmigungen;
(c) Verbot der Ausübung einer Geschäftstätigkeit;
(d) die Entziehung von Genehmigungen und Zulassungen für Tätigkeiten, die zur betreffenden Tat geführt haben;
(e) die Unterstellung unter gerichtliche Aufsicht;
(f) die gerichtlich angeordnete Auflösung;
(g) die Schließung von Einrichtungen, die zur Begehung der Tat genutzt wurden;
(h) die vollständige oder teilweise Veröffentlichung der gerichtlichen Entscheidung über die begangene Straftat und die verhängten Sanktionen oder Maßnahmen, sofern ein öffentliches Interesse besteht, unbeschadet der Vorschriften über die Vertraulichkeit und den Schutz personenbezogener Daten.
2. [Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass bei einer im Sinne von [Artikel D(1)] für Straftaten nach [Artikel/n ...] verantwortlichen juristischen Person die Straftat mit Geldstrafen oder Geldbußen geahndet werden kann. Die Höhe dieser Geldstrafen bzw. Geldbußen steht in einem angemessenen Verhältnis zur Schwere der Handlung sowie zu der individuellen, finanziellen und sonstigen Situation der betreffenden juristischen Person. Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass das Höchstmaß dieser Geldstrafen bzw. Geldbußen Folgendes nicht unterschreitet:
a) bei den Straftaten gemäß [Artikel ...]
i) [5 %] des weltweiten Gesamtumsatzes der juristischen Person entweder in dem Geschäftsjahr vor dem Geschäftsjahr, in dem die Straftat begangen wurde, oder in dem Geschäftsjahr, das dem der Entscheidung über die Verhängung der Geldstrafe bzw. Geldbuße vorausgeht, oder alternativ
ii) einen Betrag i.H.v. [maximal 40.000.000 €];
b) bei den Straftaten gemäß [Artikel ...]
i) [2/5 %] des weltweiten Gesamtumsatzes der juristischen Person entweder in dem Geschäftsjahr vor dem Geschäftsjahr, in dem die Straftat begangen wurde, oder in dem Geschäftsjahr, das dem der Entscheidung über die Verhängung der Geldstrafe bzw. Geldbuße vorausgeht, oder alternativ
ii) einen Betrag i.H.v. [8/24/40 Millionen] EUR.
3. Die Mitgliedstaaten können Vorschriften für Fälle vorsehen, in denen es nicht möglich ist, den Betrag einer Geldstrafe bzw. Geldbuße auf der Grundlage des weltweiten Gesamtumsatzes der juristischen Person in dem Geschäftsjahr, das jenem vorausgeht, in dem die Straftat begangen wurde, oder des weltweiten Gesamtumsatzes in dem Geschäftsjahr, das dem der Entscheidung über die Verhängung der Geldstrafe bzw. Geldbuße vorausgeht, zu bestimmen.]“
Die Mustervorschrift D zur Verantwortlichkeit juristischer Personen deckt sich mit der in einer Vielzahl strafrechtlicher Richtlinien enthaltenen Zurechnungsnorm für Straftaten bzw. Aufsichtspflichtverletzungen von Leitungspersonen. Das Europäische Parlament hatte hierzu zuletzt für Art. 16 des Kommissionsvorschlags für eine Richtlinie zur Bekämpfung der Korruption (COM[2023] 234 final) einen abweichenden Ansatz vorgelegt (EP-Dokument A9-0048/2024), nach dem die Korruptionsstraftat jedweder für ein Unternehmen handelnder Person eine Unternehmenshaftung auslösen soll. Es würde also nicht mehr auf die Leitungsposition der handelnden Person ankommen, was auf einen Paradigmenwechsel hinauslaufen würde.
Der Bericht erläutert, dass u.a. die Mustervorschrift „E“ kontroverser als andere Bestimmungen gewesen sei und man sie daher in eckige Klammer gesetzt habe (S. 2). Die Einbeziehung einer solcher Vorschrift in zukünftige Rechtsakte müssen durch einen besonders starken Bedarf gerechtfertigt sein (S. 2). Zu den verschiedenen Festbetragsgeldbußen in E(2)(a)(ii) erläutert eine Fußnote, dass die jeweils angewandten Schwellenwerte zu berücksichtigen seien, nachdem es in der Richtlinie Umweltstrafrecht und der Richtlinie (EU) 2024/1226 zur Definition von Straftatbeständen und Sanktionen bei Verstoß gegen restriktive Maßnahmen (Richtlinie Sanktionsstrafrecht) unterschiedliche Schwellenwerte gebe. Tatsächlich sieht die Richtlinie Sanktionsstrafrecht umsatzbezogene Geldbußen von im Höchstmaß mindestens 1 % bzw. 8 Mio. Euro bei Straftaten vor, die mit einer Mindesthöchststrafe von einem Jahr zu bedrohen sind. Bei Sanktionsstraftaten mit einer Mindesthöchststrafe von drei oder mehr Jahren sind es 5 % bzw. 40 Mio. Euro. Die Richtlinie Umweltstrafrecht sieht dagegen bei Straftaten mit einer Freiheitsstrafe von im Höchstmaß mindestens drei Jahren eine Unternehmensgeldbuße von 3 % bzw. 24 Mio. Euro vor.
Hervorzuheben ist, dass die Mustervorschrift E dem Umsetzungsgesetzgeber die Wahl lässt zwischen Festbetrags- und Bruchteilsgeldbußen. Die Mustervorschrift unterstreicht dies durch die Formulierung „oder alternativ“. Außerdem sollen die Mindesthöchstgeldbußen nach der Mustervorschrift E nur bei einer Verantwortlichkeit nach Abs. 1 der Mustervorschrift D anwendbar sein, also nur dann, wenn eine Leitungsperson die Straftat selbst begeht. Begeht die Leitungsperson dagegen nur eine Aufsichtspflichtverletzung, so bleibt es bei der allgemeinen Vorgabe nach Mustervorschrift E(1), wonach „wirksame, verhältnismäßige und abschreckende strafrechtliche oder nichtstrafrechtliche Sanktionen oder Maßnahmen“ verhängt werden müssen, ohne dass dafür bestimmte Mindesthöchstbeträge oder Mindesthöchstbruchteile zu beachten sind. Auch hier gab es zuletzt eine uneinheitliche Gesetzgebung. Die Richtlinie Umweltstrafrecht deckt sich insoweit mit den Musterbestimmungen (s. Art. 7[3], der nur auf Art. 6[1] und damit auf die Verantwortlichkeit für von Leitungspersonen selbst begangene Straftaten verweist). Die Richtlinie Sanktionsstrafrecht verlangt Mindesthöchstgeldbußen dagegen sowohl bei Straftaten als auch bei Aufsichtspflichtverletzungen von Leitungspersonen (s. dort Art. 7[2], der sowohl auf die Verantwortlichkeit wegen Straftaten von Leitungspersonen nach Art. 6[1] als auch wegen Aufsichtspflichtverletzungen von Leitungspersonen nach Art. 6[2] verweist; zur Umsetzungsgesetzgebung s. Busch, wistra 2024, Heft 12, R8).
Bei den in D(1)(a)-(h) aufgeführten Nebenfolgen richtet sich das „können“ an den Umsetzungsgesetzgeber, der damit nicht zur Einführung solcher Nebenfolgen gezwungen ist.
3. Nächste Schritte
Die Präsidentschaft sieht die vorgelegten Mustervorschriften als vorläufig und als Grundlage für eine weitere Diskussion mit den Ko-Gesetzgebern in Rat und Kommission an. Bereits in seinen Ratsschlussfolgerungen vom Juni 2024 (Ratsdokument 10984/24; s. dazu Busch, wistra 2024, Heft 8, R11) hatte der Rat die Kommission und das Parlament „ersucht, gemeinsam strukturierte und umfassende Überlegungen zu allen Aspekten der Zukunft des EU-Strafrechts, auch in Bezug auf die Stärkung der internen Kohärenz des EU-Strafrechts und dessen Kohärenz mit eng damit verbundenen Instrumenten, und zu der Möglichkeit gemeinsamer Musterbestimmungen anzustellen“ (S. 6).
Die Kommission hat ihrerseits zusammen mit der derzeitigen polnischen Ratspräsidentschaft ein „Hochrangiges Forum zur Zukunft der EU-Strafrechtspflege“ („High-level Forum on the Future of EU Criminal Justice“) ins Leben gerufen, das sich mit materiellem Strafrecht und Strafverfahrensrecht sowie der Digitalisierung befassen soll (Rede des u.a. für Justiz zuständigen Kommissionsmitglieds McGrath vom 3.2.2025). Das erste von vier Treffen des Forums soll am 4./5.3.2025 stattfinden und darüber beraten, wie die EU auf der gesamten Strafverfolgungskette einen wirksamen Kampf gegen Bedrohungen wie z.B. durch Organisierte Kriminalität und Korruption am besten unterstützen kann; Ziel sei eine gemeinsame Vision für gesetzgeberische und nicht-gesetzgeberische Maßnahmen für die nächsten fünf Jahre (so die Ankündigung auf der Website der Europäischen Grundrechteagentur).
Oberstaatsanwalt beim BGH (Referatsleiter im BMJ) Markus Busch LL.M. (Columbia University), Berlin
Der Text gibt ausschließlich die persönliche Meinung des Verfassers wieder.