Logo C.F. Müller
Wirtschaftskriminalität in Berlin

aus wistra 2/2025

Im Berliner Abgeordnetenhaus wurde zum Wirtschaftsstrafrecht berichtet (Drs. 19/20286). Einleitend wird angemerkt, dass die Fallzahlen der Wirtschaftskriminalität deutlichen Schwankungen unterliegen, da die Aufhellung des großen Dunkelfelds vom Anzeigeverhalten bzw. der Kontrollintensität abhängig sei. Einzelne große Tatkomplexe mit einer Vielzahl von Einzelfällen könnten die Fallzahlen und Schadenssummen stark beeinflussen. Die in den Jahren 2020 und 2021 ausgewiesenen Anstiege hätten vor allem im Zusammenhang mit dem betrügerischen Erlangen von Corona-Soforthilfen gestanden. Aufgrund des Rückgangs dieser Straftaten seien die Fallzahlen der Wirtschaftskriminalität im Berichtsjahr 2023 zwar rückläufig, blieben jedoch auf einem hohen Niveau – deutlich über dem Durchschnitt der Jahre vor 2020:

Jahr

Fallzahl PKS(abgeschlossen)

Tendenz

2019

2.678

 

2020

4.420

+65 %

2021

7.851

+78 %

2022

6.517

-17 %

2023

5.669

-13 %


Aufgeschlüsselt werden sodann die Fallzahlen in folgenden Deliktbereichen:

  • Wirtschaftskriminalität bei Betrug
  • Insolvenzdelikte
  • Anlage- und Finanzierungsdelikte
  • Wettbewerbsdelikte
  • Arbeitsdelikte
  • Betrug/Untreue im Zusammenhang mit Kapitalanlagen
  • Abrechnungsbetrug im Gesundheitswesen

Die Aufklärungsquote habe sich insoweit wie folgt entwickelt (nach den Kriterien der PKS, d.h. – Anmerkung des Autors – nach realen Maßstäben bzw. Verhältnissen vollkommen abwegig):

Delikt/Jahr

Aufklärungsquote (in %)

Tendenz(in %)

Wirtschaftskriminalität (allg.)

 

 

2019

86,3

 

2020

85,5

- 0,8

2021

77,5

- 8

2022

85,5

+ 8

2023

94,5

+ 9

Betrug

 

 

2019

68,8

 

2020

79,7

+ 10,9

2021

73

- 6,7

2022

83,5

+ 10,5

2023

93,8

+ 10,3

Insolvenzdelikte

 

 

2019

99,5

 

2020

99,6

+ 0,1

2021

99,6

 

2022

99,1

- 0,5

2023

99,3

+ 0,2

Anlage-/Finanzierungsdelikte

 

 

2019

35,1

 

2020

26,6

- 8,5

2021

15,6

- 11

2022

39,6

+ 24

2023

73,7

+ 34,14

Wettbewerbsdelikte

 

 

2019

76,4

 

2020

34,9

- 41,5

2021

26,3

- 8,6

2022

60

+ 33,7

2023

69,3

+9,3

Abrechnungsbetrug

 

 

2019

88,7

 

2020

97,8

+ 9,1

2021

95,7

- 2,1

2022

96,7

+ 1

2023

90,3

- 6,4


Zur Schadensentwicklung wird mitgeteilt:

Delikt/Jahr

Schaden(in EUR)

Tendenz(in %)

Durchschnittswert (2019-2023)(in EUR)

Wirtschaftskriminalität (allg.)

 

 

414.219.850

2019

334.737.874

 

 

2020

269.146.382

- 19,6

 

2021

734.327.193

+ 172,8

 

2022

334.171.247

- 54,5

 

2023

398.716.555

+ 19,3

 

Betrug

 

 

155.344.084

2019

106.799.239

 

 

2020

35.150.654

- 67

 

2021

425.641.250

+ 1.111

 

2022

115.799.609

-72,8

 

2023

93.329.669

- 19,4

 

Insolvenzdelikte

 

 

234.153.708

2019

204.924.975

 

 

2020

203.715.326

- 0,6

 

2021

294.058.829

+ 44,35

 

2022

178.129.697

- 39,4

 

2023

289.939.712

+ 62,77

 

Anlage-/Finanzierungsdelikte

 

 

82.745.952

2019

20.728.418

 

 

2020

11.501.778

- 44,51

 

2021

358.270.734

+ 3.014,9

 

2022

19.190.254

- 94,6

 

2023

4.038.578

- 78,9

 

Wettbewerbsdelikte

 

 

389.215

2019

432.251

 

 

2020

768.108

+ 77,7

 

2021

237.420

- 69,1

 

2022

55.106

- 76,8

 

2023

453.190

+ 722,4

 

Abrechnungsbetrug

 

 

5.390.266

2019

369.658

 

 

2020

4.914.210

+ 1.229,4

 

2021

3.954.147

- 19,5

 

2022

6.813.234

+ 72,3

 

2023

10.900.081

+ 59,98

 


Zum Phänomenbereich Cybertradingbetrug wird angemerkt, dass in den letzten Jahren eine Zunahme von Betrugsverfahren im Zusammenhang mit dem Handel mit binären Optionen, dem Handel mit Differenzgeschäften (sog. CFD-Tradings) und dem Handel mit virtuellen Währungen (Kryptowährungen, z.B. Bitcoin) zu verzeichnen ist. Zwar würden Angebote auch in Festgeld oder Aktien gemacht – jedoch würden Angebote unter Bezugnahme auf Kryptowährungen einen Schwerpunkt bilden. Sog. Cybertrading-Plattformen im Internet locken mit großen Gewinnen und mit „Geheimsystemen“. Eine steigende Anzahl sog. Online-Tradingplattformen greife die mediale Aufmerksamkeit der Wertsteigerungen von Kryptowährungen auf. Es würden zunehmend unerfahrene Personen als Anlegende „angelockt“, die persönliche Daten von sich preisgeben und Zahlungen auf betrügerische Konten vornehmen, um vermeintlich in Wertpapiere oder virtuelle Währungen zu investieren. Tatsächlich handele es sich bei den Tradingplattformen regelmäßig um „Fakes“, die eine Entwicklung von Anlagegeldern nur vortäuschen. Hierbei sei zu beobachten, dass täterseitig unmittelbar Konten im außerdeutschen Raum oder eigens eingerichtete digitale Kryptowallets für den Zahlungsverkehr genutzt werden. Bei Zahlungseingang erfolge zeitnah netzartig ein gestückelter Weitertransfer des Guthabens. Die Täter würden strukturell sowie arbeitsteilig agieren und maximale Möglichkeiten der Verschleierung und Anonymisierung des Internets ausnutzen. Das Gesamtsystem konstruiere sich aus einer Art „Baukastenprinzip“, bei dem einzelne Bereiche als Serviceleistung eingekauft (u.a. sog. crime as a service) und bedarfsorientiert ausgetauscht werden können. Ursprung sei eine Software, die im Internet als Handelsplattform eingesetzt wird. Anonymisierungsdienste ermöglichten die Registrierung und Veröffentlichung. Die Website selbst enthalte nur wenige Angaben zu den Betreibern.

Die Entwicklung des Wirtschaftsstrafrechts verlaufe generell und auch seit 2019 sehr dynamisch. Sie sei durch fortlaufende Anpassungsprozesse an gesellschaftliche, d.h. wirtschaftliche, soziale und politische Veränderungen unter Berücksichtigung der damit einhergehenden nationalen und internationalen Gegebenheiten und Anforderungen gekennzeichnet. Fälle der „Wirtschaftskriminalität“ werden im LKA Berlin in der Abteilung 3 bearbeitet. Seit dem Jahr 2019 lässt sich im Bereich der Wirtschaftskriminalität – so die Senatsverwaltung für Inneres – vielfach eine Zunahme der Komplexität der Verfahren feststellen. Gründe hierfür lägen in der wachsenden Internationalisierung im Zuge steigender Digitalisierung.

Zur Effizienzsteigerung seien im Berichtszeitraum verschiedene Maßnahmen ergriffen worden. Dazu gehöre u.a. die anlassbezogene Einrichtung verschiedener temporärer, spezialisierter Ermittlungsgruppen (EG), um beispielsweise zielgerichtet und mit konzentrierten Ressourcen auf Straftaten im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie zu reagieren. Im Zuge der Corona-Pandemie hätten sich z.B. im Bereich des Subventionsbetrugs und des Abrechnungsbetrugs neue Tatgelegenheitsstrukturen ergeben. Infolgedessen seien zahlreiche Straftaten, beispielsweise wegen der betrügerischen Erlangung von Corona-Soforthilfen, begangen worden. In der Polizei Berlin sei daraufhin in der Abteilung 3 des LKA Berlin eine EG eingesetzt worden, die bis heute mit der Verfolgung dieser Straftaten betraut ist.

Folgende Wirtschaftsstrafkammern sind am LG Berlin I eingerichtet:

 

2019

2020

2021

2022

2023

2024

Große Strafkammer (1. Instanz)

5

5

5

5

5

6

Kleine Strafkammer (2. Instanz)

2

2

3

4

4

4


Bei den Eingängen und Erledigungen in der 1. Instanz bietet sich folgendes Bild:

 

2019

2020

2021

2022

2023

Eingänge

16

20

39

45

33

Erledigungen

30

23

27

44

36

Urteil

15

10

9

18

15

§ 153a StPO

2

3

2

1

-

Verfahrenshindernis (§ 206a StPO)

1

-

1

-

1

Nichteröffnung

1

1

2

2

-

Eröffnung vor einem Gericht niederer Ordnung

-

-

3

3

-


Rechtsanwalt Prof. Dr. Carsten Wegner, Berlin

 


Verlag C.F. Müller

zurück zur vorherigen Seite