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Berlin: Lagebild Korruption

aus wistra 12/2024

Der Ausschuss für Inneres, Sicherheit und Ordnung des Berliner Abgeordnetenhauses hat sich in seiner öffentlichen Sitzung am 1.7.2024 (Nr. 37) mit Fragen der Korruption beschäftigt. Im Inhaltsprotokoll ist hierzu Folgendes ausgewiesen:

„Vorsitzender Florian Dörstelmann weist darauf hin, dass das Lagebild Korruption Berlin 2022 den Ausschussmitgliedern am 25. Juni 2024 per E‑Mail übermittelt worden sei.

Burkard Dregger (CDU) bedauert, obwohl er das Lagebild mit großem Interesse gelesen habe, sei es nur von begrenztem Informationswert. Möglicherweise liege das daran, dass es in diesem Bereich keine größeren Probleme gebe. Um das besser beurteilen zu können, bitte er um Auskunft, welche Einschätzungen die zuständigen Experten des LKA bezüglich des Dunkelfelds hätten. Ggf. müsse man weiter überlegen, wie man dieses Dunkelfeld erhellen könne.

Staatssekretär Christian Hochgrebe (SenInnSport) erinnert daran, dass der Innenausschuss am 14. November 2022 aus Anlass einer Petition um Prüfung durch die Polizei und die Zentralstelle für Korruptionsbekämpfung bei der Generalstaatsanwaltschaft gebeten habe, in welcher Form ein Lagebild veröffentlicht werden könne. Im Ergebnis sei seitens der Polizei Berlin für das Jahr 2022 ein Lagebild erstellt worden, das auf den Berliner Landesdaten beruhe, die für das Bundeslagebild Korruption zur Verfügung gestellt worden seien. Dieses Lagebild sei am 11. Januar 2024 veröffentlicht worden. Insgesamt seien 48 Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit Korruptionsstraftaten erfasst worden, der Schwerpunkt habe mit 27 Fällen bei Straftatbeständen der Bestechung gelegen. 53 Tatverdächtige seien ermittelt worden, von denen 15 als tatbereite Vorteilsnehmer bzw. Bestochene auftraten und 38 als Vorteilsgewährende bzw. Bestechende.

Die Ermittlung von materiellen, also monetären Schäden sei grundsätzlich schwierig, weil sie sich häufig nicht beziffern ließen, etwa Wettbewerbsvorteile oder erkaufte Informationen. Immaterielle Schäden wie der Verlust des Vertrauens in die Unbestechlichkeit und Handlungsfähigkeit staatlicher Institutionen oder die Integrität der Wirtschaft seien dabei auch nicht zu unterschätzen.

Das Dunkelfeld sei mutmaßlich hoch, da es bei Korruptionsdelikten nur Täter gebe; Gebende wie Nehmende hätten kein Interesse an der Tatentdeckung und Strafverfolgung. Es handele sich also um Kontrolldelikte, da es im Regelfall keine Anzeige der Taten gebe. Darüber hinaus unterlägen die jährlichen Fallzahlen starken Schwankungen, durch einzelne große Verfahrenskomplexe könne die Statistik schnell stark ansteigen. Daher sei es sehr schwer, hier eine Tendenz abzuleiten. Die Datenlage spiegele aufgrund des mutmaßlich hohen Dunkelfelds primär die bei der Polizei bearbeiteten Ermittlungsverfahren wider.

Dr. Barbara Slowik (Polizeipräsidentin) berichtet weiterhin, dass davon auszugehen sei, dass zu dem hohen Dunkelfeld auch beitrage, dass Unternehmen, sofern ihnen Vorfälle bekannt würden, häufig auf Anzeigen verzichteten, um Reputationsschäden zu verhindern. Der Schwerpunkt der polizeilichen Arbeit zu diesem Thema liege auf der internen Revision. Anlassunabhängig würden stichprobenartig Überprüfungen vorgenommen; auch anlassbezogen werde geprüft. In Einzelfällen sei man auch durch Stichproben im Rahmen von Überprüfungen mit Bezug zu illegalen Abfragen in POLIKS auf Korruptionsfälle gestoßen.

Ein Schwerpunkt liege auch auf der Korruptionsprävention, der Beratung und Sensibilisierung aller Dienststellen, der Durchführung von Schulungen, zu denen Nachwuchskräfte verpflichtet seien. Die durch die SenFin erlassenen Ausführungsvorschriften über das Verbot der Annahme von Belohnungen, Geschenken und sonstigen Vorteilen würden ebenfalls regelmäßig vermittelt und zu ihrer Umsetzung geschult. Die Wahrung und Einhaltung obliege den Vorgesetzten. Sie selbst erlebe im Alltag der Polizei Berlin eine sehr hohe Sensibilität diesbezüglich, die es Bürgern, die der Polizei danken wollten, mitunter schwierig mache.

Niklas Schrader (LINKE) merkt an, dass im Rahmen der Debatte zur Petition 2022 diskutiert worden sei, inwiefern die Erstellung eines Lagebildes Korruption sinnvoll sei. Angesichts des Berichts nun scheine die Bilanz eher gemischt. Die Frage sei, ob sich aus dem Lagebild Schlüsse für konkrete Handlungsempfehlungen und Verbesserungen ziehen ließen; das sei seines Erachtens nur sehr begrenzt möglich. Er begrüße, dass im Bericht transparent gemacht werde, dass die Zahlen mit Vorsicht zu betrachten seien und – ganz abgesehen vom Dunkelfeld – man eigentlich längere Zeiträume betrachten müsse. Sei beabsichtigt, eine Betrachtung über mehrere Jahre durchzuführen, um ein Bild zu gewinnen, das nicht durch einzelne Großverfahren verzerrt werde? Da nun ohnehin regelmäßig ein Lagebild erstellt werde, scheine es ihm sinnvoll, die Entwicklung auch längerfristig zu betrachten.

Im Justizvollzug aber sei die Diagnose relativ deutlich. Für diesen Bereich könne man durchaus feststellen, dass es ein Problem gebe, das über einzelne Jahre hinausgehe und sich verfestigt habe. Gebe es hierzu Handlungsempfehlungen oder Verbesserungsvorschläge seitens des LKA an SenJustV oder einzelne Justizvollzugsanstalten zu Prävention, Kontrollpraxis etc.? – Er rege an, sich speziell dieses Themas auch im Rechtsausschuss noch mal anzunehmen.

Einer Studie der Gesellschaft für Freiheitsrechte zu den Themen Hinweisgeberschutz und Meldung von Fehlverhalten bei der Polizei zufolge herrsche unter den Beschäftigten der Polizei nach wie vor große Zurückhaltung, Mängel oder konkrete Korruptionsvorwürfe anzuzeigen. Offenbar seien der rechtlich abgesicherte Hinweisgeberschutz durch das Hinweisgeberschutzgesetz und die neue Richtlinie nicht ausreichend bekannt. Wie schätze die Polizeipräsidentin die Situation in ihrer Behörde ein? Wie bemühe man sich, die Informationslage unter den Beschäftigten zu verbessern?

Vasili Franco (GRÜNE) meint, es sei ein gutes Zeichen, dass der Ausschuss Petitionen ernst nehme und erkenne, wenn darin ein Mehrwert für das Land Berlin gegeben sei, und das dann auch in die Umsetzung bringe. Sei geplant, dieses nun begonnene Berichtswesen fortzusetzen?

Der Bericht unterscheide sich in einigen Punkten von dem bereits zuvor existierenden Jahresbericht der Zentralstelle für Korruptionsbekämpfung der Berliner Staatsanwaltschaft. Sei denkbar, die beiden Berichte zusammenzuführen? – In anderem Kontext sei ihm mitgeteilt worden, man sehe hierzu keine Erforderlichkeit; wenn sich aber zwei Stellen mit fast dem gleichen Thema beschäftigten, sei es seines Erachtens durchaus angebracht zu überlegen, wie man alle Erkenntnisse zusammentragen und dem Parlament zur Verfügung stellen könne.

Auffällig sei besonders die unterschiedliche Anzahl der Verfahren in beiden Berichten; diese sei bei der Staatsanwaltschaft höher als bei der Polizei. Woran liege das?

Wie sei es in den erfassten Fällen um den Schadenswert bestellt? Hierzu enthalte der Bericht keine klare Aussage. Sicherlich gebe es viele kleine Fälle, in denen Geschenkgrenzen überschritten würden etc.; interessanter und relevanter seien aber, wie man denjenigen auf die Schliche kommen könne, die mit hoher krimineller Energie dem Staat Millionenschäden verursachen könnten. Berlin habe in der Vergangenheit durchaus negative Erfahrungen gemacht; es habe dubiose Immobiliendeals, Spekulation mit Grundstücken etc. gegeben. Das seien die Fälle, an die man herankommen müsse: wenn es zwischen Verwaltung und Privaten drastische Fälle der Korruption und möglicherweise auch der politischen Einflussnahme gebe, mit denen Recht umgangen werde. In diesem Kontext interessiere ihn, wie die Polizei Berlin damit umgehe, wenn Behördenleitungen oder politische Verantwortungsträger von einem Hinweis oder Anzeige betroffen seien. Habe es im Jahr 2022 Fälle gegeben, in denen prominente Vertreterinnen oder Vertreter von Behörden oder Politik im Fokus gestanden hätten oder in denen die Schadenssummen sehr hoch gewesen seien?

Burkard Dregger (CDU) geht auf das anonyme elektronischen Hinweisgebersystem ein, dessen Einführung mit der Hoffnung verbunden gewesen sei, dass mit der Gewährleistung der Anonymität des Anzeigenden die Bereitschaft Dritter, die von bestimmten Vorgängen Kenntnis erhielten, wachsen werde, entsprechende Anzeigen zu erstatten, auch wenn das das LKA vor die Herausforderung stelle, nicht substanziierte Anzeigen herauszufiltern. Aus dem Bericht gehe nicht hervor, wie viele der Verfahren auf das anonyme Hinweisgebersystem zurückzuführen seien, es werde lediglich auf vier anonyme Hinweise und acht externe Hinweisgeber verwiesen. Angesichts der Zahlen interessiere ihn aber, wie das anonyme Hinweisgebersystem innerhalb der Polizei bekannt gemacht werde; im Grunde betreffe diese Frage aber alle Behörden des Landes Berlin. Wüssten die Angehörigen der Verwaltung, aber auch die allgemeine Öffentlichkeit, dass es dieses System bzw. die Möglichkeit der anonymen Anzeige gebe? Gebe es darüber hinaus weitere Handlungsempfehlungen des LKA, möglicherweise auch an das Parlament, um das Vorgehen gegen Korruption zu erleichtern?

Martin Matz (SPD) stellt fest, im Bericht werde zwischen tatbereiten und nicht tatbereiten Nehmenden unterschieden. Er gehe davon aus, dass es sich bei Letzteren um Personen handele, die eine angebotene Bestechung abgelehnt hätten. Laut Bericht seien diese Personen großteils Polizeibeamte. Gebe es im Rahmen der Ausbildung eine Anweisung oder Handreichung, mit der Polizeibeamten empfohlen werde, dass, wenn ihnen Vorteile angeboten würden, sie dies offenlegten und nicht nur ablehnten?

In Bezug auf die Netzwerkarbeit im Internal Criminal Investigations Network habe er beim Lesen den Eindruck gewonnen, dass sich diese primär auf Korruption im Bereich der Polizei und im öffentlichen Sektor beziehe. Korruption gehe aber weit darüber hinaus, und er nehme an, dass eine internationale Vernetzung insbesondere mit Blick auf Korruption im Bereich der Wirtschaft sinnvoll wäre. Er bitte, die Tätigkeit des Netzwerks näher zu erläutern.

Staatssekretär Christian Hochgrebe (SenInnSport) verweist auf Seite 6 des Lagebilds, wo bereits versucht worden sei, eine Langfristbetrachtung einzubauen. Er stimme zu, dass eine solche notwendig sei, und um das zu ermöglichen, werde auch ein Folgelagebild benötigt. Das Lagebild für 2023 befinde sich derzeit in Arbeit; man werde versuchen, es noch im Verlauf das Jahres 2024 vorzulegen, könne das aber noch nicht versprechen. Auch dort werde man eine Langfristbetrachtung mit aufnehmen.

Die divergierenden Zahlen im Lagebild und im Bericht der Zentralstelle für Korruption ergäben sich, weil die Erfassungsmechanismen von Staatanwaltschaft und Polizei sich unterschieden. Aus dem Bericht der Zentralstelle Korruptionsbekämpfung gingen die Eingänge, die Erledigungen, [...] Anklageerhebungen, die Einstellungen, die Hauptverhandlungen – alles Wichtige aus Sicht der Justiz – hervor. Die Daten, die der Staatsanwaltschaft vorlägen, unterschieden sich von denen, die der Polizei vorlägen, da bei der Polizei nur tatsächliche Korruptionsfälle eingetragen würden, also solche, in denen mindestens ein Anfangsverdacht bestehe, während bei der Staatsanwaltschaft jegliche Fälle mit dem Stichpunkt Korruption gezählt würden; das umfasse z.B. auch denunziantische Fälle oder solche ohne Anfangsverdacht.

Dr. Barbara Slowik (Polizeipräsidentin) nimmt Bezug auf die Frage nach Verbesserungsvorschlägen des LKA an die Justizvollzugsanstalten und erläutert, die Polizei befinde sich im ständigen engen Austausch mit den JVAs, auch mit konkreten Hinweisen z. B. zu Zufallskontrollen bei Wärtern und Ähnlichem.

Die Studie, die der Abg. Schrader angesprochen habe, sei ihr aktuell nicht bekannt. Hinweisgeberschutz sei bei der Polizei durch das anonyme Hinweisgebersystem gewährleistet; dazu, ob darüber hinaus noch mehr erforderlich sei, könne sie nichts sagen. Das Thema sei aber Gegenstand von Aus- und Fortbildung und sie sei sich sicher, dass Aus- und Fortbilder sich auf aktuellem Stand befänden und die entsprechenden Informationen vermittelten; sie werde sich aber auch gern selbst noch mit der Studie befassen. Bekannt gemacht werde das Hinweisgebersystem ebenfalls durch Aus- und Fortbildungsmaßnahmen für Führungskräfte des gehobenen Dienstes; hier gebe es das Modul Korruptionsprävention und -bekämpfung. Ebenfalls für den höheren Dienst gebe es zielgruppenorientierte Seminare. Für die Nachwuchskräfte des höheren Dienstes sei seitens der internen Revision bei der Verwaltungsakademie eine verpflichtende Fortbildungsveranstaltung zum Thema Korruption initiiert worden. Auch Onlineschulungen für Führungskräfte würden durchgeführt.

Wenn Polizeibeamte angebotene Vorteile zurückwiesen, seien sie in größeren Fällen schon durch das Legalitätsprinzip verpflichtet, den Vorfall zu melden.

Das von Europol beauftragte Netzwerk von internen Ermittlern, das Internal Criminal Investigations Network, befasse sich ihres Wissens tatsächlich nur mit internen Ermittlungen; die Polizei Berlin sei aber auch abseits dessen international gut vernetzt, sodass auch an anderen sinnvollen Stellen Kontakte bestünden. Den konkreten Gegenstand der Europol-Arbeitsgruppe könne sie aktuell nicht benennen.“

Rechtsanwalt Prof. Dr. Carsten Wegner, Berlin


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