aus wistra 12/2024
Im Rechtsausschuss des NRW-Landtags wurde von der Landesregierung zur Bearbeitung von Cum/Cum-Verfahren durch die Hauptabteilung H berichtet (43. Sitzung – Vorlage 18/2729). Verwiesen wird zunächst auf eine Darstellung des Leitenden Oberstaatsanwalts in Köln:
„Im Allgemeinen werden unter Cum/Cum-Geschäften Wertpapierhandelsstrategien verstanden, bei denen die Aktien vom Steuerausländer kurz vor dem Dividendenstichtag an einen Steuerinländer übertragen werden, der – im Gegensatz zum Steuerausländer – von der Kapitalertragsteuer befreit ist. Wie von vornherein geplant werden die Aktien nach dem Dividendenstichtag wieder an den Steuerausländer zurückübertragen, wobei die Steuerersparnis zwischen den Parteien aufgeteilt wird.
Sowohl bei Cum/Cum-Geschäften als auch bei Cum/Ex-Geschäften wird das schuldrechtliche Verpflichtungsgeschäft vor dem Dividendenstichtag abgeschlossen, so dass in beiden Fällen Gegenstand dieses Verpflichtungsgeschäfts Aktien ‚mit Dividendenanspruch’ (‚cum’) sind. Bei Cum/Cum-Geschäften werden diese Aktien noch vor dem Dividendenstichtag geliefert, wohingegen bei Cum/Ex-Geschäften die tatsächliche Belieferung erst nach dem Dividendenstichtag erfolgt (‚ex’). Daher zielen Cum/Cum-Geschäfte darauf ab, die für den Steuerausländer gesetzlich vorgesehene Kapitalertragsteuerpflicht durch ‚Verschieben’ der Aktien auf einen steuerbefreiten Inländer zu umgehen. Mittels Cum/Ex-Geschäften ist es dagegen möglich, eine zweite (also ‚doppelte’) Kapitalertragsteueranrechnung bzw. -erstattung zu erreichen, weil hier Aktien genutzt werden können, die zuvor bereits Gegenstand der Steueranrechnung bzw. -erstattung im Wege eines Cum/Cum-Geschäfts waren.
In der Praxis sind Cum/Cum- und Cum/Ex-Geschäfte häufig im Rahmen einer Gesamtstrategie verbunden. Cum/Cum-Geschäfte sind der Finanzverwaltung auch unter dem Oberbegriff ‚Dividendenstripping’ seit den 1970er Jahren bekannt. Da sie unbestritten steuermotiviert sind, waren sie im Laufe der Zeit Gegenstand zahlreicher BMF-Schreiben und gerichtlicher Entscheidungen.
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Die Beschaffungen von Aktien für Cum/Cum-Geschäfte können unterschiedlich ausgestaltet sein. Häufig werden sie als Wertpapierleihe, Wertpapierpensionsgeschäft, Repo oder aber auch als (gegen Kursrisiken abgesicherter) Kauf strukturiert. Zudem sind in der Praxis Cum/Cum-Geschäfte unter Einbindung von ADR (American Depository Receipts) und ETF (Exchange Traded Funds) bekannt geworden.
Sowohl der Finanzverwaltung als auch der Staatsanwaltschaft Köln sind zudem komplexe Handelsmuster bekannt, bei denen das Cum/Cum-Geschäft lediglich Teil einer mehrschrittigen Handelsstrategie ist. Dazu gehören vor allem sog. Auslagerungsfälle bzw. ‚optimierte Wertpapierleihen’ oder ‚weitergereichte Wertpapierleihen’ sowie die Kombination von Cum/Cum- mit Cum/Ex-Geschäften.
Die bei der Staatsanwaltschaft Köln anhängigen Fallkomplexe zeichnen sich insoweit dadurch aus, dass eine inländische Großbank aufgrund eines Gesamtplans sich in einem ersten Schritt Aktien von im Ausland ansässigen Anteilseignern beschafft und in einem zweiten Schritt die Aktien gegen eine Leihgebühr an kleinere Regionalbanken oder kleine Gesellschaften weiterreicht. Dies geschieht regelmäßig in der Weise, dass die Aktien ‚offiziell’ als Sicherheit für den Erhalt von festverzinslichen Wertpapieren (z.B. ‚Bonds’) übertragen werden. Die Regionalbank erwirbt die Aktien mit Dividendenanspruch und bringt diese im eigenen Namen zur Steueranrechnung. Hintergrund dieses Vorgehens auf Seiten der Großbanken sind bankinterne Beschränkungen der Höhe der Steueranrechnungsbeträge (sog. Reclaim-Limits). Diese bankinternen Beschränkungen dienen offenbar vor allem dazu, steuerliche Prüfungen – die bei sehr hohen Anrechnungsbeträgen möglicherweise gedroht hätten – zu vermeiden. Aufgrund der bankinternen Limitierung hätten somit nicht alle aus dem Ausland beschafften Aktien im eigenen Namen (der Großbank) für Steueranrechnungen genutzt werden dürfen. Um aber möglichst viele Aktien nach dem Dividendenstichtag im Wege lukrativer Ex/Ex-Geschäfte veräußern zu können, wurden die ‚überschießenden’ Aktien an kleinere Regionalbanken ‚ausgelagert’, wobei die Großbank und die Regionalbank sich die Profite des ausgelagerten Cum/Cum-Geschäfts teilten. Anschließend haben die Großbanken die durch Cum/Cum-Geschäfte erlangten und anschließend weitergereichten bzw. ausgelagerten Aktien regelmäßig nach dem Dividendenstichtag im Wege eines sog. Ex/Ex-Geschäfts veräußert. Diese Ex/Ex-Geschäfte waren deshalb lukrativ, da nach dem Dividendenstichtag durch die am Markt agierenden Leerverkäufer eine große Nachfrage nach Aktien bestand, mit denen die Leerverkäufer ihren Lieferverpflichtungen gegenüber den Cum/Ex-Käufern nachkommen wollten.
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Der Missbrauch von steuerlichen Gestaltungsmöglichkeiten i.S.v. § 42 AO ist als solcher nicht strafbar. Teilt der Steuerpflichtige aber der Finanzbehörde die für die zutreffende Besteuerung der wirtschaftlichen Vorgänge steuerlich erheblichen Tatsachen nicht mit, sind seine Angaben unvollständig i.S.v. § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO. Stellt er einen unrichtigen Sachverhalt dar, sind die Angaben unrichtig.
Als unrichtig gilt auch ein unvollständiger Sachverhalt. Das folgt aus der Rechtsprechung des BGH zum Umfang der Erklärungspflichten des Steuerpflichtigen. Danach steht es dem Steuerpflichtigen nicht etwa frei, den Steuerbehörden aus einem Gesamtsachverhalt nur einen Teil der Tatsachen richtig vorzutragen und sie im Übrigen nach Maßgabe einer nicht offengelegten, ersichtlich strittigen eigenen rechtlichen Bewertung des Vorgangs zu verschweigen, obwohl die Einzelheiten für die steuerliche Beurteilung bedeutsam sein könnten. Vielmehr sind im Rahmen der Kommunikation mit den Finanzbehörden alle Sachverhaltselemente, die für die Finanzverwaltung im Hinblick auf die Kapitalertragsteuererstattung bzw. -anrechnung erkennbar relevant sind, mitzuteilen.
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Anzumerken ist vorsorglich, dass es – anders als teilweise durch Medien laienhaft dargestellt – für die Frage der Strafbarkeit nach § 370 AO nicht entscheidend ist, ob die den betreffenden Steuererklärungen zugrunde liegende Handelsstrategie eine ‚double-dip’-Strategie wie Cum/Ex oder eine Steuerumgehungsstrategie wie Cum/Cum ist. Soweit die für die Finanzverwaltung zur Bewertung des Einzelfalls notwendigen Fakten offengelegt worden sind, liegt ein Anfangsverdacht strafbaren Handelns nicht vor. Bei Offenlegung aller relevanten Umstände würde die Finanzverwaltung aller Wahrscheinlichkeit nach die erstrebte Steueranrechnung bzw. -erstattung ablehnen und die weitere rechtliche Auseinandersetzung wäre allein auf den finanzgerichtlichen Weg beschränkt. Soweit allerdings der Antragsteller der Finanzverwaltung die zur Beurteilung des Falles erforderlichen Umstände nicht offenlegt, liegt ein Anfangsverdacht strafbaren Handelns vor.
Hinsichtlich des für den Straftatbestand des § 370 AO erforderlichen Eventualvorsatzes ist es im Fall einer begehrten Steuererstattung insbesondere erforderlich, dass der Täter die von ihm gebilligte Möglichkeit sieht, dass die Voraussetzungen der angestrebten Anrechnung von Kapitalertragsteuer nebst Solidaritätszuschlag eventuell nicht vorliegen.
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Darüber hinaus kommt gerade für Cum/Cum-Fälle auch eine Steuerhinterziehung durch Unterlassen gem. § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO in Zusammenhang mit den Anzeigepflichten nach § 153 AO in Betracht.
Danach ist ein Steuerpflichtiger zur unverzüglichen Anzeige oder Richtigstellung verpflichtet, wenn er nachträglich vor Ablauf der Festsetzungsfrist erkennt, dass eine von ihm oder für ihn abgegebene Erklärung unrichtig oder unvollständig ist und es dadurch zu einer Verkürzung von Steuern kommen kann oder bereits gekommen ist.
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Neben dem Tatbestand der Steuerhinterziehung ergibt sich in der staatsanwaltschaftlichen Praxis auch häufig ein Anfangsverdacht der (Selbst-)Geldwäsche (z.B. von Tätern der Steuerhinterziehung), des Betrugs (z.B. gegenüber Anlegern), der Untreue (z.B. durch Investition von anvertrauten Geldern in derartige Produkte) sowie der Marktmanipulation.“
Rechtsanwalt Prof. Dr. Carsten Wegner, Berlin