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Hamburg: Wirtschaftskriminalität

aus wistra 10/2024

In Heft 9 der wistra wurde bereits über einen parlamentarischen Vorgang in der Hamburger Bürgerschaft zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität berichtet (wistra 2024 H. 9 R5 ff.). Der Umfang der Drucksache sowie das hierbei kommunizierte Zahlenwerk veranlasst eine weitere Berichterstattung hierzu.

Der Senat weist darauf hin, dass das Bundeslagebild Wirtschaftskriminalität des BKA u.a. bestimmte fallbezogene Phänomene der Wirtschaftskriminalität beschreibt, die dort als quantitativ auffällig und neu wahrgenommen worden sind. Für den Zuständigkeitsbereich der Hauptabteilung V der Staatsanwaltschaft Hamburg sei neben dem Katalog des §  74c Abs. 1 Nr. 1 bis 6b GVG die Effektivität der Verfahrensbearbeitung von Bedeutung. Dabei komme der Frage, ob zur Bearbeitung des Falles besondere Kenntnisse des Wirtschaftslebens erforderlich sind, besondere Bedeutung zu. Aufgrund dieser Prämisse würden beispielsweise Betrugstaten oder Cybercrime – auch zu den benannten Phänomengruppen – zum Teil in anderen Hauptabteilungen mit eigener Fachkompetenz bearbeitet. Mehrere Abteilungen der Hauptabteilung V würden eine relevante Anzahl von Verfahren ohne Beteiligung der Polizei Hamburg, jedoch unter Beteiligung von Steuerfahndung, Zollfahndung, Hauptzollämtern und Familienkassen abschließen. Darüber hinaus würden Verfahren ohne Beteiligung der Polizei abgeschlossen, wenn sich bereits bei Strafantragstellung kein Anfangsverdacht bejahen lässt (§§ 152, 170 StPO). Die Struktur der Staatsanwaltschaft Hamburg ermögliche eine effiziente und effektive Strafverfolgung der Wirtschaftskriminalität.

Die Anzahl der seit 2020 in der Hauptabteilung V eingestellten Js-Verfahren sowie eine Aufschlüsselung der Einstellungsarten ist der nachfolgenden Tabelle zu entnehmen (Stichtag: 17.4.2024):

Aktenzeichenjahr/Erledigungsart

2020

2021

2022

2023

2024(30.3.)

§ 170 II StPO

1.015

1.000

1.066

1.255

396

§ 153 StPO

374

283

230

404

86

§ 153a StPO

49

71

70

87

24

§ 154 StPO

80

76

56

65

16

§ 45 I JGG

18

19

24

26

5

§ 45 II JGG

4

4

2

7

3

Vorläufige Einstellungen (alle)

63

87

100

193

83

Sonstige Einstellungen

40

24

25

30

8

Sonstige Erledigungen

632

896

850

961

335


Die Anzahl der Beschuldigten, gegen die seit dem Jahr 2020 in der Hauptabteilung V Anklage erhoben oder der Erlass eines Strafbefehls beantragt wurde, ist der nachfolgenden Tabelle zu entnehmen (Stichtag: 17.4.2024):

 

Anklagen

Strafbefehl

2020

138

143

2021

203

127

2022

192

105

2023

249

169

2024 (30.3.)

69

44


Auch Insolvenzstrafverfahren werden ausdrücklich thematisiert: Die Insolvenzakten würden von der Staatsanwaltschaft Hamburg regelmäßig in den folgenden Fällen angefordert:

  • Bearbeitung der direkt vom Insolvenzgericht übersandten Akten,
  • Aufgriff der mangels Masse abgewiesenen Insolvenzverfahren,
  • Insolvenzverfahren, bei denen parallel Auskunftsersuchen von Krankenkassen vorliegen oder die von Eintragungen in das Schuldnerverzeichnis begleitet sind.

In Fällen, in denen die Insolvenzakten nach dieser Priorität ausgewertet wurden, würden die Vorermittlungsverfahren der Abteilung 52 den Abteilungen 55 und 56 zur Verfahrensübernahme vorgelegt. Eine automatisierte statistische Erfassung der aufgrund eingegangener Mitteilungen in Zivilsachen des Insolvenzgerichts angeforderten Insolvenzakten erfolge nicht.

Die Verlagerung der Wirtschaftskriminalität in den digitalen Raum führe zu Herausforderungen in der Beweissicherung und -auswertung wie auch der Identifizierung der Täter. Verschwimmende Grenzen zwischen Cybercrime im engeren Sinne und Wirtschaftskriminalität könnten bislang aber nicht beobachtet werden. Ermittlungsverfahren wegen Straftaten, die sich im Schwerpunkt in einem erheblichen Maße gegen die Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme richten und zu deren Aufklärung besondere Kenntnisse der modernen Informations- und Kommunikationstechnik erforderlich sind (Cybercrime im engeren Sinne), werden nach Darstellung des Senats bei der Staatsanwaltschaft Hamburg in der zuständigen Fachabteilung (Abteilung 74) bearbeitet.

Auch die Zusammenarbeit mit der Europäischen Staatsanwaltschaft (EUStA) – die über einen Dienstsitz in Hamburg verfügt – ist ein Thema. Anhand eines bei der Generalstaatsanwaltschaft Hamburg händisch geführten Registers können seit dem Jahr 2021 die folgenden Verfahrensübernahmen und -andienungen an die EUStA nachvollzogen werden:

2021:

Tatvorwurf

Übernahme/Ablehnung

bandenmäßige Steuerhinterziehung

Abgabe/Übernahme in 6/2021, (Rück-)Abgabe an die StA HH in 7/2022

bandenmäßige Steuerhinterziehung

Abgabe des Verfahrens an das Zentrum München über das Zentrum Hamburg

Subventionsbetrug

Ablehnung der Übernahme in 12/2021


2022:

Tatvorwurf

Übernahme/Ablehnung

bandenmäßige Steuerhinterziehung

Ablehnung der Übernahme


2023:

Tatvorwurf

Übernahme/Ablehnung

bandenmäßige Steuerhinterziehung

erneute Abgabe (s.o.), Übernahme in 11/2023

bandenmäßige Steuerhinterziehung

Abgabe aufgrund Anforderung des Verfahrens durch Zentrum HH, Übernahme in 3/2023


Wer Cybercrime ermitteln will, der sollte selbst „datenfähig“ sein. Ausgesprochen interessant ist vor diesem Hintergrund die Frage, wie die Hamburger Gerichtsbarkeit sicherstellt, dass mit Einführung der e-Akte in Strafsachen ein reibungsloser elektronischer Datenaustausch zwischen Gericht und EUStA stattfinden kann und ob auch mit der Einführung der e-Akte in Strafsachen die EUStA ihre Verfahren in Papierform bzw. Hybridform dem Ermittlungsgericht vorlegen werden. In seiner Antwort verweist der Senat auf § 2 des Gesetzes zur Ausführung der EU-Verordnung zur Errichtung der Europäischen Staatsanwaltschaft (EUStAG) vom 10.7.2020 (BGBl. I 1648), wonach die Vorschriften der Strafprozessordnung, einschließlich der §§ 32 ff. StPO, auch auf Verfahren im Zuständigkeitsbereich der EUStA anzuwenden sind. Die EUStA sei daher – wie auch nationale Strafverfolgungsbehörden und Gerichte – verpflichtet, ihre Akten spätestens ab dem 1.1.2026 elektronisch zu führen und diese Akten nach Maßgabe des § 32 Abs. 3 StPO i.V.m. § 4 Abs. 1 der Strafaktenübermittlungsverordnung (StrafAktÜbV) vom 14.4.2020 (BGBl. I, 799) elektronisch über das elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) an das Gericht zu übersenden. Die technische Infrastruktur für die elektronische Übermittlung sei mit dem EGVP bereits vorhanden.

Die Frage, wie viele Verfahrensrügen wegen Verstoßes gegen die ordnungsgemäße Besetzung der Wirtschaftsstrafkammern gem. § 222b StPO seit dem Jahr 2014 jährlich erhoben wurden und wie viele von diesen erfolgreich waren, kann der Senat nicht beantworten. Gleiches gilt zu der Frage, wie viele Verfahrensrügen im Revisionsverfahren gem. §§ 338 Nr. 1, 344 Abs. 2 StPO seit dem Jahr 2014 erhoben wurden und wie viele davon begründet waren.

Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung sind die Gerichte gehalten, rechtsstaatswidriges, verfahrensverzögerndes Verhalten ausdrücklich festzustellen. Die Frage, in wie vielen der seit dem Jahr 2014 im Bereich des Wirtschaftsstrafrechts erlassenen Urteile ein entsprechender Verstoß festgestellt wurde, kann der Senat ohne händische Aktenauswertung nicht beantworten.

Zur Erledigungsstatistik am LG Hamburg (Wirtschaftsstrafkammer) bietet sich folgendes Bild:

 

2017

2018

2019

2020

2021

2022

2023

I. Q 24

I. Instanz

               

Erledigungen

13

21

16

22

16

15

20

5

Urteil

10

18

12

9

12

10

14

3

§ 153a StPO

1

2

1

3

-

1

1

-

§ 153 StPO

-

-

-

-

-

-

-

-

§ 154 StPO

-

-

-

1

-

1

1

-

Zahl der Beschuldigten

33

39

35

40

32

53

57

9

Berufungsinstanz

               

Erledigungen

36

42

56

21

25

15

53

7

Urteil

13

16

26

13

14

9

37

5

§ 153a StPO

5

8

9

2

4

-

3

-

§ 153 StPO

-

1

1

1

1

-

-

-

§ 154 StPO

-

1

1

-

-

-

-

-

Zahl der Beschuldigten

43

45

62

26

27

16

63

8


Sofern wegen Abrechnungsbetruges im Gesundheitswesen eine Anklage bei dem LG Hamburg erhoben wird und die Voraussetzungen des § 74c Abs. 1 Nr. 6a GVG vorliegen, sind die Wirtschaftsstrafkammern des LG Hamburg zuständig. Es handelt sich insoweit – merkt der Senat an – jeweils um eine Entscheidung im Einzelfall, ob zur Beurteilung des Falles „besondere Kenntnisse des Wirtschaftslebens“ erforderlich sind. Eine Angabe darüber, wie viele Verfahren im Gesundheitssektor seit dem Jahr 2014 jährlich vor den Wirtschaftsstrafkammern des LG Hamburg verhandelt wurden, könne nicht erfolgen, da diese Verfahren im Rahmen einer automatisierten Auswertung nicht von anderen Verfahren aus dem Zuständigkeitsbereich der Abteilung 35 der Staatsanwaltschaft Hamburg unterschieden werden können.

Rechtsanwalt Prof. Dr. Carsten Wegner, Berlin


Verlag C.F. Müller

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