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VN-Cybercrime-Übereinkommen

aus wistra 9/2024

Der von der VN-Generalversammlung eingesetzte Ad-hoc-Ausschuss zur Erarbeitung eines internationalen Übereinkommens zur Bekämpfung der Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnologie (Ad Hoc Committee to Elaborate a Comprehensive International Convention on Countering the Use of Information and Communications Technologies for Criminal Purposes) hat nach einer mehr als zweijährigen Verhandlungsphase in seiner wiederaufgenommenen 7. Sitzung vom 29.7.–9.8.2024 den Entwurf eines VN-Cybercrime-Übereinkommens beschlossen (vorläufige Fassung s. VN-Dokument A/AC.291/L.15) und ihn zusammen mit dem Entwurf einer begleitenden Resolution (vorläufige Fassung s. VN-Dokument A/AC.291/L.16) an die VN-Generalversammlung zur Annahme weitergeleitet (s. zum Hintergrund Gercke, ZUM 2022, 893, 897; kritisch zum Verhandlungsprozess und -ergebnis Kurz, netzpolitik.org v. 7.8.2024).

Neben ihren Mitgliedstaaten hat auch die EU an den Verhandlungen teilgenommen, da sie für Bereiche in ihrer Zuständigkeit, zu denen u.a. das Computerstrafrecht gehört (s. Art. 83[1] AEUV), auch eine entsprechende Außenkompetenz besitzt (s. Art. 216, 218 AEUV). Die EU wurde bei den Verhandlungen von der Kommission vertreten, der der Rat zuvor ein entsprechendes Verhandlungsmandat erteilt hatte (Beschluss des Rates 2022/895 vom 24.5.2022). Danach sollen die Kommission und die Mitgliedstaaten während der Verhandlungen eng zusammenarbeiten, soweit der Gegenstand der Verhandlungen in die Zuständigkeit sowohl der EU als auch ihrer Mitgliedstaaten fällt, damit die EU und ihre Mitgliedstaaten auf internationaler Ebene geschlossen auftreten (Art. 2 Ratsbeschluss 2022/895). Nach Art. 64(2) des Übereinkommensentwurfs kann auch die EU Vertragspartei werden.

Das Übereinkommen schreibt in seinem Art. 6(1) ausdrücklich die Achtung der Menschenrechte bei seiner Umsetzung vor. Es darf nicht als Grundlage für die Unterdrückung von Menschenrechten gemäß den einschlägigen internationalen Instrumenten ausgelegt werden, Art. 6(2).

Das Übereinkommen enthält ein Kapitel zur Pönalisierung, das Vorgaben zur Strafbarkeit von Cybercrimedelikten macht, zu denen neben den klassischen Computerstraftaten (Rechtswidriger Zugang [Art. 7], Rechtswidriges Abfangen [Art. 8], Eingriff in Daten [Art. 9], Eingriff in Systeme [Art. 10], Missbrauch von Vorrichtungen [Art. 11], Computerbezogene Fälschung [Art. 12], Computerbezogener Diebstahl/Computerbezogener Betrug [Art. 13]) auch kinderpornographiebezogene Straftaten (Art. 14), Cybergrooming (Art. 15), Online-Verbreitung intimer Bilder (Art. 16) und an diese Delikte anschließende Geldwäschehandlungen (Art. 17) gehören. Begriffsdefinition finden sich in Art. 2, Vorschriften zum Versuch in Art. 19(2)(3), Verjährungsregelungen in Art. 20, Vorschriften über das Rechtsanwendungsrecht in Art. 22. Die Verantwortlichkeit juristischer Personen ist in Art. 18 geregelt.

Befugnisse der Strafverfolgungsbehörden werden weitgehend nach dem Vorbild der Budapest Konvention des Europarats in Art. 23–34 behandelt. Vorgesehen sind u.a. die (jeweils anlassbezogene) Sicherung von Computer- und Verkehrsdaten (Art. 25, 26) sowie die Erhebung in Echtzeit von Verkehrsdaten (Art. 29) und (bei schweren Straftaten gem. Art. 2[h]) von Inhaltsdaten (Art. 30). Art. 24 nennt dafür „Bedingungen und Garantien“, zu denen die Wahrung der Menschenrechte und gerichtliche Kontrolle gehören, und zwar auch dann, wenn die entsprechenden Maßnahmen aufgrund eines Rechtshilfeersuchens durchgeführt werden. Art. 35–52 sind der internationalen Zusammenarbeit gewidmet, Art. 53 der Prävention. Art. 54–56 betreffen die Entwicklungszusammenarbeit. Mit Art. 57 wird eine Vertragsstaatenkonferenz eingerichtet. Das Übereinkommen tritt in Kraft, nachdem es 40 Vertragsparteien ratifiziert haben (Art. 65[1]). Zusatzprotokolle sind in Art. 61 und 62 vorgesehen. Nach dem Resolutionsentwurf (OP 5) sollen die Arbeiten an einem Zusatzprotokoll bereits zwei Jahre nach Annahme der Resolution aufgenommen werden. Der Ausschuss hat dem Übereinkommen außerdem „interpretative notes“ zu einer Reihe von Artikeln beigefügt (vorläufige Fassung s. VN-Dokument A/AC.291/27/Rev.1).

Die teilweise kontroversen Verhandlungen über das insbesondere von Russland forcierte Übereinkommen wurden unter Vorsitz der algerischen Diplomatin Mebarki geführt und vom UN Web TV Webcast live im Internet übertragen. An den Verhandlungen konnten sich auch Nichtregierungsorganisationen, zivilgesellschaftliche Organisationen sowie Vertreter von Wirtschaft und Wissenschaft beteiligen (s. VN-GV-Resolution 75/282, Nr. 9).

Oberstaatsanwalt beim BGH (Referatsleiter im BMJ) Markus Busch LL.M. (Columbia University), Berlin
Der Text gibt ausschließlich die persönliche Meinung des Verfassers wieder.


Verlag C.F. Müller

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