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Hamburg: Wirtschaftskriminalität

aus wistra 9/2024

In der Hamburger Bürgerschaft wurde sich der Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität gewidmet (Drs. 22/14916). Die Fragesteller weisen einleitend darauf hin, dass dem in einer Wirtschaftsmetropole wie Hamburg eine große Bedeutung zukomme. Seit Jahren hätte dieser Deliktsbereich aber mit steigenden Anforderungen und überlangen Verfahrensdauern zu kämpfen. Die gerichtliche Zuordnung von Straftaten zur Wirtschaftskriminalität erfolge anhand des Kataloges des § 74c GVG, der die Zuständigkeit der landgerichtlichen Wirtschaftsstrafkammern regelt. Orientiert am Katalog des § 74c GVG sei – so wird ausgeführt – bei der Staatsanwaltschaft Hamburg die Hauptabteilung V für Wirtschafts- und Steuerstrafverfahren zuständig.

Die Wirtschaftskriminalität verlagere sich – so konstatieren die Fragesteller weiter – immer mehr in den digitalen Raum. Als bedeutende Phänomene seien das Betrugsphänomen „CEO-Fraud“, der im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie stehende Subventionsbetrug sowie der Anlagebetrug auf Online-Plattformen (sog. Cybertrading Fraud) zu nennen. Insbesondere beim „Cybertrading Fraud“ seien die Tätergruppierungen imstande, flexibel auf äußere Einflüsse und rechtliche Rahmenbedingungen durch die Anpassung der offerierten Finanzprodukte, die zunehmende Automatisierung der Call-Center-Strukturen sowie den Einsatz von Chat-Formaten, den Einsatz von Kryptowährungen als Methode der Vermögenswerteverschleierung und Geldwäsche dynamisch zu reagieren. Um eine nachhaltige Strafverfolgung in sich zunehmend verschwimmenden Grenzen zwischen Wirtschaftskriminalität und Cyberkriminalität sicherzustellen, müssten sich die Strafverfolgungsbehörden diesen stetig ändernden Rahmenbedingungen, vor allem im digitalen Raum, anpassen. Neben den erforderlichen vertieften „klassischen“ betriebswirtschaftlichen Kenntnissen – die bei der Bearbeitung von Wirtschaftskriminalität erforderlich sind und seitens der Staatsanwaltschaft Hamburg durch in der Abteilung 52 tätige Wirtschaftsreferenten und aufseiten des Landeskriminalamts durch die beim wirtschaftskriminalistischen Prüfdienst des Landeskriminalamtes (WPD/LKA 52) tätigen Beschäftigten vorgehalten werden – seien vermehrt vertiefte IT-forensische Kenntnisse im Bereich der Open-Source-Intelligence(OSINT)-Recherchen als auch rund um das Asset-Tracing insbesondere im Kontext von Kryptowährungen erforderlich.

Die Hauptabteilung V umfasst als größte von insgesamt neun Hauptabteilungen der Staatsanwaltschaft Hamburg derzeit neun Fachabteilungen und hat im Jahresgeschäftsverteilungsplan zum 1.1.2024 einen Stellenumfang von 43,75 Vollzeitäquivalenten zugewiesen bekommen. Darüber hinaus ist für Verfahren wegen Abrechnungsbetruges im Gesundheitswesen die Abteilung 35 zuständig.

Statistisch werden in Hamburg zum PKS-Summenschlüssel 893000 für die Polizei folgende Zahlen ausgewiesen:

Jahr

erfasste Fälle

2019

924

2020

673

2021

532

2022

1.114

2023

1.269


Die Polizei Hamburg führt keine Statistik zu Festnahmen im Bereich der Wirtschaftskriminalität. Zur Beantwortung einer dahingehenden Frage wäre die Durchsicht aller Hand- und Ermittlungsakten des LKA für den erfragten Zeitraum erforderlich; eine solche händische Auswertung von mehreren hunderttausend Vorgängen sei in der für die Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. Gleiches gelte für das AG, das ebenfalls statistisch nicht erfasst, wie viele Haftbefehle seit dem Jahr 2019 in Wirtschaftssachen erlassen wurden. Auch im Vorgangsbearbeitungs- und Vorgangsverwaltungssystem der Staatsanwaltschaft MESTA würden weder die Anzahl vorläufiger Festnahmen noch der Erlass von Untersuchungshaftbefehlen erfasst.

Soweit nach Schadenssummen gefragt wird, teilt der Senat mit, dass im Vorgangsbearbeitungs- und Vorgangsverwaltungssystem MESTA der Staatsanwaltschaft keine Schadenssummen – weder allgemein noch speziell für Fälle der Wirtschaftskriminalität – erfasst werden. Zur Beantwortung der Frage müssten daher sämtliche Verfahren der Hauptabteilung V sowie der Abteilung 35 seit dem Jahr 2019 händisch ausgewertet werden; dies sei in der für die Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. Bei der Polizei Hamburg sollen folgende Schadenssummen erfasst sein:

Jahr

in EUR

2019

41.339.053

2020

72.939.604

2021

21.508.206

2022

116.442.269

2023

36.456.488


Betreffend die Fachdienststellen LKA 51 und LKA 53 wird mitgeteilt, dass aus technischen Gründen nur für das aktuelle und das vorangegangene Jahr eine PKS-Sonderauswertung durchgeführt werden kann. Danach betrug im Jahr 2023 die Gesamtschadensumme der durch das LKA 51 abgeschlossenen Ermittlungsverfahren 33.848.288 € (darunter Wirtschaftskriminalität: 32.462.982 €) und der vom LKA 53 abgeschlossenen Ermittlungsverfahren 3.284.906 € (darunter Wirtschaftskriminalität: 2.737.689 €).

Die Polizei Hamburg führt keine Statistik zur Vermögensabschöpfung oder Einziehung. Für die Beantwortung der gestellten Frage wäre eine Durchsicht aller Hand- und Ermittlungsakten bei der im LKA dafür fachlich zuständigen Dienststelle (LKA 66) erforderlich; eine solche händische Auswertung von mehreren Tausend Vorgängen sei in der für die Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. Auch im Vorgangsbearbeitungs- und Vorgangsverwaltungssystem MESTA der Staatsanwaltschaft werde nicht erfasst, welche Maßnahmen der Vermögensabschöpfung beziehungsweise welche Einziehungsbeträge auf den Bereich der Wirtschaftskriminalität entfallen; dies gelte auch für die vorläufig gesicherten Vermögenswerte. Zur Beantwortung der Frage müssten daher sämtliche Verfahren der Hauptabteilung V sowie der Abteilung 35 seit dem Jahr 2019 händisch ausgewertet werden; hierbei handelt es sich jährlich um eine vierstellige Anzahl von Verfahren. Soweit nach Einziehungsentscheidungen nach §§ 73 ff. StGB gefragt wird, teilt der Senat mit, dass in der Abteilung 58 der Staatsanwaltschaft Verfahren der Vollstreckung der Vermögensabschöpfung nicht ausschließlich für die Verfahren der Hauptabteilung V, sondern auch für die Verfahren anderer (Haupt-)Abteilungen bearbeitet werden, sofern der Einziehungsbetrag 5.000 € übersteigt. Ab dem 1.5.2024 sei dieser Schwellenwert auf 20.000 € angehoben worden. Im Rahmen einer automatisierten MESTA-Auswertung könne nicht differenziert werden, welche der in der Abteilung 58 vollstreckten rechtskräftigen Einziehungsentscheidungen auf Anordnungen in Verfahren der Wirtschaftskriminalität beziehungsweise Ermittlungsverfahren der Hauptabteilung V zurückgehen.

Die Gesamthöhe aller endgültig der Staatskasse im Wege der Vermögensabschöpfung zugeführten Beträge ist der nachstehenden Tabelle zu entnehmen (ohne dass eine Differenzierung für den Bereich des Wirtschaftsstrafrechts möglich wäre):

Jahr

in EUR

2014

1.510.449

2015

2.526.031

2016

2.097.198

2017

3.745.074

2018

1.792.743

2019

3.143.405

2020

2.432.382

2021

2.782.410

2022

4.642.460

2023

4.012.709


Für Delikte im Gesundheitswesen ist im LKA das Sachgebiet 532 zuständig. Der Senat weist darauf hin, dass in Ermittlungsverfahren wegen Abrechnungsbetruges im Gesundheitswesen eine Schadensberechnung sowohl nach der streng formalen Betrachtungsweise des Sozialrechts als auch auf Grundlage einer Gesamtsaldierung vorgenommen wird. Die Feststellung der Schadenshöhe im Betrugstatbestand erfolge dabei grundsätzlich auf Grundlage der streng formalen Betrachtungsweise. Nach der Rechtsprechung sei aber im Bereich der Strafzumessung zu berücksichtigen, ob eine Leistung insgesamt nicht erbracht wurde oder ob eine Gegenleistung erbracht wurde, diese aber nach den sozialrechtlichen Bestimmungen nicht abrechenbar gewesen ist (vgl. BGH 5.12.2002 – 5 StR 161/02, wistra 2003, 142). Verfahren wegen Betrugs im Gesundheitswesen werden unter dem PKS-Schlüssel 518110 erfasst. Die Berechnung von Schadenssummen erfolgt in der PKS – so der Senat – nur für Hamburg gesamt. Darüber hinaus sei für eine detailliertere Aufschlüsselung eine PKS-Sonderauswertung erforderlich, die aus technischen Gründen nur für das aktuelle und vorangegangene Jahr vorgenommen werden könne. Nach einer Auswertung der dem Sachgebiet LKA 532 übergeordneten Dienststellenebene LKA 53 habe im Jahr 2023 die Gesamtschadenssumme der durch das LKA 53 abgeschlossenen Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit dem Betrug im Gesundheitswesen 1.084.091 € betragen.

Bezüglich der fachlichen Anforderungen führt der Senat aus, dass für die Aufgabenbereiche des LKA 51 und des LKA 53 Kenntnisse des allgemeinen Wirtschaftslebens erforderlich sind, die nicht durch die allgemeine (kriminal-)polizeiliche Ausbildung abgebildet werden. Dazu gehöre ein Grundlagenwissen zu gesellschaftsrechtlichen und kaufmännischen Fragestellungen, zum Buchhaltungs- und Rechnungswesen sowie zum Sozialgesetzbuch. Das LKA 5 biete Mitarbeitern für die Bearbeitung von Wirtschaftsdelikten eine eigene sechsmonatige wirtschaftskriminalistische Fortbildung sowie Sondermodule für entsprechende Deliktsschwerpunkte als Spezialistenausbildung an. Um die Mitarbeiter möglichst langfristig zu halten, sei im Bereich der Wirtschaftskriminalität eine Karriereentwicklung bis zum Ersten Sachbearbeiter im Statusamt A 12 möglich und auch eine Besetzung einer Führungsfunktion im Statusamt A 13 erreichbar. Die Personalabteilung der Polizei Hamburg spreche gezielt Studierende am Fachhochschulbereich der Akademie der Polizei Hamburg (AK) mit beruflicher Vorbildung oder Qualifikation im Bereich der Wirtschaftskriminalität an, um sie für ein Praktikum beziehungsweise eine Erstverwendung im LKA 5 zu gewinnen. In den letzten Jahren habe insbesondere das LKA 53 junge Berufseinsteiger für ihre Arbeit begeistern können. Diese Berufseinsteiger würden direkt nach ihrem Studium an der AK zunächst ohne kriminalpolizeiliches Zeichnungsrecht eingesetzt und verlassen die Dienststellen planmäßig nach circa zwei bis drei Jahren in Richtung Kriminaldauerdienst (LKA 26), um sog. Verwendungsbreite im Polizeiberuf zu erlangen. Für die Attraktivität der Dienststelle spreche, dass zuletzt alle drei Mitarbeiter nach ihrer Zeit beim Kriminaldauerdienst auf eigenen Wunsch zum LKA 53 zurückgekehrt seien.

Eine Spezialisierung im Bereich der Wirtschaftskriminalität sowie im Bereich der digitalen Kriminalitätsphänomene (wie z.B. des „Cybertrading Frauds“) werde seitens der Polizei als sinnvoll erachtet. Fortbildungen im Bereich der Digitalen Kriminalitätsphänomene seien bereits Bestandteil der wirtschaftskriminalistischen Aus- und Fortbildung bzw. fänden parallel dazu statt. Darüber hinaus würden im Einstellungsverfahren von Tarifbeschäftigten für die Aufgabe benötigte Qualifikationen als Einstellungsvoraussetzungen in die Stellenausschreibung aufgenommen. Im LKA 51 hätten 20 Polizeibeamte die Lehrgänge Wirtschaftskriminalität „Basismodul Buchführung und Gesellschaftsrecht“ und „Aufbaumodul Recht, Wirtschaft und Kriminalistik“ besucht oder eine entsprechende gleichwertige Qualifikation in anderen Ländern erhalten; im LKA 53 hätten 15 Polizeibeamte beide Lehrgänge absolviert.

Prüfer für Wirtschaftsforensik gelten nach Darstellung des Senats nach zwei Jahren als Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft. Die vollständige Einarbeitungszeit betrage bis zu drei Jahre. Bei den Wirtschaftsreferenten betrage die Einarbeitungszeit rund fünf Jahre. Hierbei handele es sich um die Zeitspanne, bis zu der die Mitarbeiter grundsätzlich eigenständig die Prüfaufträge in höchstgeforderter Qualität bearbeiten können.

Die seit 2020 jährlich in der Hauptabteilung V der Staatsanwaltschaft Hamburg eingegangenen Ermittlungsverfahren (Js, UJs und OWi) sind der nachfolgenden Tabelle zu entnehmen. Verlässliche Angaben hinsichtlich der Aktenzeichenjahrgänge 2014 bis 2019 könnten nicht mehr erfolgen, da es aufgrund der gesetzlichen Aufbewahrungs- und Speicherfristen nach fünf Jahren bereits zur Löschung erster Verfahrenseintragungen gekommen sein kann. Zudem seien von den Auswertungen für alle Jahrgänge seit 2019 auch die Verfahren der Abteilung 53 (Abteilung für Finanzermittlungen und Vermögensabschöpfung) sowie für alle Jahrgänge seit 2022 auch die Verfahren der Abteilung 58 (gesonderte Vollstreckungsabteilung für Vermögensabschöpfung) umfasst. Bei Verfahren der Vermögensabschöpfung und Verfahren wegen Vollstreckungen von Vermögensabschöpfung handele es sich nicht um Ermittlungsverfahren im eigentlichen Sinn, sondern um selbstständige Vorgänge im Rahmen des Ermittlungs- beziehungsweise Strafverfahrens:

Aktenzeichenjahrgang

Neuzugänge Js(Beschuldigte)

Neuzugänge UJs

Neuzugänge OWi

2020

2.750 (3.893)

115

78

2021

2.872 (4.343)

142

59

2022

2.884 (4.010)

224

63

2023

3.502 (4.709)

280

61

2024 (Stand: 30.3.)

1.193 (1.807)

96

17

 

Die Fallzahlen sowie die Verfahrensdauer (Eingang des Verfahrens bei Gericht bis Abschluss des Verfahrens) vor den Wirtschaftsstrafkammern am LG Hamburg können der nachstehenden Tabelle entnommen werden:

 

2017

2018

2019

2020

2021

2022

2023

I. Q 24

I. Instanz

 

 

 

 

 

 

 

 

Neuzugänge

23

16

18

24

19

26

24

8

Erledigungen

13

21

16

22

16

15

20

5

Ø Verfahrensdauer in Monaten

23,3

18,3

15

17,6

15,8

27,3

22

20,6

Berufungsinstanz

 

 

 

 

 

 

 

 

Neuzugänge

56

35

28

19

16

29

39

19

Erledigungen

36

42

56

21

25

15

53

7

Ø Verfahrensdauer in Monaten

12,1

14,9

14,6

16,2

13,8

4,2

13,5

4,1

 

Prof. Dr. Carsten Wegner


Verlag C.F. Müller

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