aus wistra 7/2024
In der Hamburger Bürgerschaft wurde am 28.2.2024 ein Zwischenbericht des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses (PUA) „Klärung der Frage, warum der Hamburger Senat und die Hamburger Steuerverwaltung bereit waren, Steuern in Millionenhöhe mit Blick auf Cum-Ex-Geschäfte verjähren zu lassen und inwieweit es dabei zur Einflussnahme zugunsten der steuerpflichtigen Bank und zum Nachteil der Hamburgerinnen und Hamburger kam (PUA „Cum-Ex-Steuergeldaffäre“)“ vorgelegt (Drs. 22/14500).
Neben der Darstellung verschiedener inzwischen ergangener Entscheidungen von Finanz- und Strafgerichten heißt es abschließend in einer Bewertung:
„Hamburg hat im Jahr 2022 eine Taskforce für besondere Gestaltungsmodelle in der Finanzbehörde gegründet. Ihr gehören Bedienstete des Finanzamtes für Prüfungsdienste und Strafsachen (FA PrüStra) sowie des Finanzamtes für Großunternehmen (FA GU) an, die auf einem gemeinsamen, nur ihnen zugänglichen Sharepoint arbeiten. Diese Koordinierungsstelle bearbeitet keine ‚eigenen‘ Fälle, sondern steuert und koordiniert die Bearbeitung durch die jeweils zuständigen Finanzämter, sorgt für strukturierten Wissenstransfer und fachlichen Austausch sowie für eine ganzheitliche Fallbearbeitung bei einheitlicher Rechtsanwendung. Zudem hat sie besondere Suchparameter zur Entdeckung von Cum-Ex- und Cum-Cum-Verdachtsfällen entwickelt und bereits mit der hamburgweiten automatisierten Durchsuchung begonnen. Die so entdeckten ‚RisikoFälle‘ wurden den zuständigen Finanzämtern zur Prüfung übergeben. Bisher sind keine weiteren Cum-Ex- oder Cum-Cum-Fälle zutage getreten.
Im Finanzamt für Prüfungsdienste und Strafsachen (FA PrüStra) wurde die ‚Ermittlungsgruppe Cum-Ex‘ eingerichtet. Das FA PrüStra agiert mit dieser Ermittlungsgruppe quasi als ‚Hilfsstelle‘ bzw. Ermittlungseinheit der StA Köln, die auf die strafrechtliche Aufarbeitung kapitalmarktgetriebener Gestaltungsmodelle spezialisiert ist.
Mit den höchst komplexen Steuergestaltungen gehen in rechtlicher wie tatsächlicher Hinsicht anspruchsvolle und teilweise noch nie praktizierte zivil- und einziehungsrechtliche Vor- und Folgeverfahren einher. Deshalb wurde die Zusammenarbeit auf Bundesebene zielgerichtet verbessert. Dies betrifft insbesondere den Austausch und die Beteiligung an Einziehungsverfahren im Zuge strafgerichtlicher Verfahren.
Die Finanzbehörde hat zudem einen zusätzlichen, länderübergreifenden Erfahrungsaustausch mit dem Bundeszentralamt für Steuern initiiert, um zusätzliche Ansätze für die Verfolgung und Unterbindung von Cum-Ex, Cum-Cum und anderen illegalen Steuerraub-Modellen zu ermitteln.
Ein besonders wichtiger Faktor zur Bewältigung der Aufgaben in der Steuerverwaltung ist die personelle Ausstattung. Dabei steht die Finanzverwaltung vor der schwierigen Aufgabe, im Wettbewerb mit großen Rechts- und Steuerberatungsfirmen gute Anwärter:innen für die Ausbildung in der Steuerverwaltung zu gewinnen und langfristig zu halten. Anfang 2023 wurde unter dem Titel ‚Wissen, was zählt‘ eine neue Nachwuchskampagne der Hamburger Steuerverwaltung gestartet und auf insgesamt 250 Anwärterinnen und Anwärter ausgeweitet. Neben 100 Plätzen für eine Ausbildung zum Finanzwirt (W/M/D) werden auch 150 Plätze im Rahmen eines dualen Studiums mit dem Abschluss Diplom-Finanzwirt (W/M/D) an der Norddeutschen Akademie für Finanzen und Steuerrecht Hamburg bereitgestellt. Auch mit der Modernisierung der Norddeutschen Akademie für Finanzen und Steuerrecht Hamburg wurde begonnen. Zudem wurde die Außenprüferzulage erhöht, um den Mitarbeiter:innen in den besonders anspruchsvollen Prüfungsgebieten wie beispielsweise in den Bankenprüfungen und Betriebsprüfungen in großen Unternehmen eine finanzielle Wertschätzung für die geleistete Arbeit zukommen zu lassen.“
Zum „Problem der Nachweisbarkeit“ heißt es (u.a.):
„Beantragt ein Steuerpflichtiger die Anrechnung von Kapitalertragsteuer (= Vorauszahlung, ...) und kommen dem Finanzamt bei der Veranlagung Zweifel am vorherigen Einbehalt, muss der Steuerpflichtige beweisen, dass die Kapitalertragsteuer zuvor einbehalten wurde. Nachdem ein Finanzamt aber eine vom Steuerpflichtigen zur Anrechnung gestellte Vorauszahlung durch eine Anrechnungsverfügung (= begünstigender Verwaltungsakt, ...) steuermindernd berücksichtigt hat, kehrt sich die Beweislast nach zutreffender Ansicht um (...). Nach Erlass der Anrechnungsverfügung muss das Finanzamt also beweisen, dass die Kapitalertragsteuer nicht einbehalten wurde, wenn es die Steuer zurückfordern möchte.
Gegenstand der Untersuchung ist, warum das Finanzamt für Großunternehmen von der Warburg Bank bereits angerechnete Kapitalertragsteuer nicht zurückforderte, mithin lag die Beweislast grundsätzlich beim Finanzamt. Selbstverständlich ist im Streitfall, wie in jedem Gerichtsverfahren, auch ein Indizienbeweis möglich (...).
Vordergründig naheliegend war, die Handels- und Lieferketten zu ermitteln. Lässt sich die Handelskette durchgehend und ohne Unterbrechung auf einen Verkäufer zurückführen, der die Aktien vor dem Dividendenstichtag im Bestand hatte, ist die Anrechnung von Kapitalertragsteuer, die in Wahrheit nicht abgeführt wurde, ausgeschlossen (...). Kann man demgegenüber nachweisen, dass in der Handels-/Lieferkette ein Verkäufer enthalten ist, der die Aktien (schuldrechtlich) erst nach dem Dividendenstichtag erworben hat, muss für alle nachfolgenden Verkäufe in der Handelskette jeweils gesondert Kapitalertragsteuer einbehalten und abgeführt werden. Hat in diesem Fall die Depotbank auch nur eines Verkäufers keine Kapitalertragsteuer einbehalten, wird insoweit zwangsläufig unzutreffend eine Bescheinigung über den Einbehalt der Kapitalertragsteuer ausgestellt (...).
Erhebliche Teile der Lieferketten selbst (also der Umbuchungen der Aktien bei Clearstream) können regelmäßig so weit nachvollzogen werden, dass ihnen eine gewichtige Indizwirkung in Cum-Ex-Fällen zukommt. Jede (sachenrechtliche) Übertragung deutscher börsennotierter Aktien muss über Clearstream erfolgen. Daher kann für jeden Kauf von Aktien über Clearstream in Erfahrung gebracht werden, von welcher Depotbank die Aktien geliefert wurden. Die Depotbank wiederum kann ihren Kunden, der die Aktien übertragen hat, benennen (Clearstream kennt nur die Depotbanken, nie die Aktieninhaber selbst, ...). Hat man auf diesem Weg den Lieferanten einer Aktientransaktion herausgefunden, kann man denselben Vorgang für diesen wiederholen. Auf diesem Weg kann man den Weg, den die Aktien genommen haben (also die sachenrechtlichen Übertragungen), zumindest teilweise zurückverfolgen. Dies haben andere Finanzämter auch getan, wie unter anderem die Kontrollmitteilungen des Finanzamts München aus den Jahren 2016 und 2017 zeigen. Das Finanzamt München hat diese Lieferkettenermittlung sogar in Fällen vorgenommen, in denen es noch nicht einmal wusste, ob es überhaupt zuständig ist, wie sieben Kontrollmitteilungen an das FA GU zeigen. In allen diesen Fällen hat die weitere Prüfung ergeben, dass Hamburg und nicht München zuständig ist.
Die Nachverfolgung des Übertragungsweges wurde immer dann schwierig, wenn Clearstream Luxemburg eingebunden war (KV-Konto 7201), da Auskünfte von Clearstream Luxemburg über deren Lieferanten nur schwer zu erlangen waren.
Selbstverständlich hat man mit diesen Übertragungen nicht vollumfänglich nachgewiesen, dass auch entlang dieser Kette entsprechende schuldrechtliche Vereinbarungen (Kaufverträge) getroffen wurden. Aber bei den in Rede stehenden Transaktionen sprechen jedenfalls der enge zeitliche Zusammenhang der jeweiligen Geschäfte und die hohen gehandelten Stückzahlen dafür, dass die Aktien ihren Weg entsprechenden schuldrechtlichen Vereinbarungen genommen haben und nicht zufällig Aktienpakete mit Valuta in zwei- und dreistelliger Millionenhöhe hin- und wieder zurückgewandert sind.
Da die Deutsche Bank das bei Clearstream geführte KV-Konto 7527 ausschließlich für die Verwahrung von Wertpapieren im Auftrag des Brokers ICAP verwendete, waren jedenfalls die Klärung der Frage, über welches KV-Konto ICAP bei allen in Rede stehenden Transaktionen beliefert wurde, und der zeitliche Zusammenhang zwischen dem Eingang der Aktien bei ICAP und ihrer Weiterreichung durch eine einheitliche Abfrage des KV-Kontos 7527 zu bewerkstelligen.
Der Versuch, die Liefer-/Handelsketten vollständig aufzuklären, musste sich von vornherein als schwierig erweisen, weil die Akteure eines Cum-Ex-Steuerbetrugs naturgemäß das Gesamtkonstrukt komplex und unter Einbeziehung von im Ausland sitzenden Akteuren aufsetzen, um die Nachverfolgbarkeit zu erschweren. Hinzu kommt, dass die Geschäfte regelmäßig unter Einschaltung eines Zentralen Kontrahenten (CCP) abgewickelt wurden (...), was für die Sachverhaltsaufklärung zusätzlichen Aufwand mit sich bringt. Deutlich einfacher war es, die im Falle von Cum-Ex-Geschäften zur Erlangung unberechtigter Steueranrechnungen notwendige Gewinnverteilung (...) aufzudecken. Allen missbräuchlichen Cum-Ex-Geschäften war gemeinsam, dass ein Teil der zu Unrecht angerechneten Kapitalertragsteuer an die übrigen Beteiligten transferiert werden musste, da sich nur ein Beteiligter die zuvor nicht abgeführte Kapitalertragsteuer anrechnen lassen konnte. Bewerkstelligt wurde dies, indem die die Transaktion absichernden Nebengeschäfte (z.B. Optionen, Futures, Total Return Swaps) so ausgestaltet wurden, dass der Leerkäufer, der dem Leerverkäufer den vollen Bruttopreis (Wert der Aktie + Bruttodividende) entrichtete, im Rahmen des Rückkaufs ‚zu wenig‘ zahlte (...).“
Rechtsanwalt Prof. Dr. Carsten Wegner, Berlin