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Bundestag: Haftung für Sozialversicherungsbeiträge

aus wistra 5/2024

Die Bundesregierung hat nach § 28e Abs. 3h SGB IV über die Wirksamkeit und Reichweite der Generalunternehmerhaftung für Sozialversicherungsbeiträge im Bereich der Kurier‑, Express- und Paketbranche berichtet, die nach den Bauunternehmen zum neuen Risikobereich auserkoren worden ist. Unternehmer, die Dienstleistungen im Transport- und Logistikbereich i.S.d. § 28e Abs. 3g S. 4 SGB IV erbringen und als Generalunternehmer einen anderen Unternehmer mit der Beförderung von Paketen beauftragen, haften seit dem Jahr 2019 unter bestimmten Voraussetzungen für die Pflicht des von ihnen beauftragten Nachunternehmers für die von diesem zu zahlenden Gesamtsozialversicherungsbeiträge und der Beiträge zur Unfallversicherung, wenn der Nachunternehmer seinen Zahlungspflichten nicht nachkommt (Generalunternehmerhaftung). Ziel der Regelung ist es, die Unternehmen der Branche verstärkt dazu anzuhalten, bei Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung die erforderlichen Gesamtsozialversicherungsbeiträge abzuführen. Die Generalunternehmerhaftung soll insbesondere bewirken, dass Generalunternehmer dafür Verantwortung übernehmen, dass auch die von ihnen beauftragten Subunternehmer ihrer Pflicht zur Zahlung der Gesamtsozialversicherungsbeiträge nachkommen. Hierfür werden im Bericht das Funktionieren der durch das Gesetz eingeführten Instrumente, mögliche Beitragsnachforderungen und Änderungen in der Branche betrachtet (BT-Drucks. 20/9834).

Unter der Überschrift „Entlastung des Generalunternehmers durch Präqualifikation und Unbedenklichkeitsbescheinigungen“ wird ausgeführt:

„a) Präqualifikation durch Eintragung in ein amtliches Verzeichnis

Als amtliches Verzeichnis gilt die Präqualifizierungsdatenbank für den Liefer- und Dienstleistungsbereich der Industrie- und Handelskammern (AVQP). Darin sind Unternehmen eingetragen, die ihre Eignung für öffentliche Aufträge gegenüber den Industrie- und Handelskammern bzw. den von ihnen getragenen Auftragsberatungsstellen nachgewiesen haben.

Die Führung des amtlichen Verzeichnisses wurde den Industrie- und Handelskammern durch § 48 Absatz 8 Vergabeverordnung als hoheitliche Aufgabe übertragen. Die Führung obliegt der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK). Daneben führt die Auftragsberatungsstelle Hessen ein eigenes amtliches Verzeichnis, das Hessische Präqualifizierungsregister (HPQR).

Voraussetzung für einen Eintrag in das jeweilige Register ist die Vorlage einer Reihe von Unterlagen. Dazu gehört ein aktueller Handelsregisterauszug, die Gewerbeanmeldung des Unternehmens, Unbedenklichkeitsbescheinigungen der Steuerbehörden, der Krankenkassen und der Berufsgenossenschaften, ein aktueller Auszug aus dem Gewerbezentralregister, der Nachweis einer Berufs- oder Betriebshaftpflichtversicherung sowie Eigenerklärungen zur Einhaltung gesetzlicher Vorgaben im Zusammenhang mit wirtschaftlicher Tätigkeit, wie beispielweise das Mindestlohngesetz. [...]

Der Eintrag in das AVQP erfolgt jeweils für ein Jahr; danach sind die erforderlichen Unterlagen von den Unternehmen erneut beizubringen. Eine unterjährige Prüfung und Aktualisierung findet nicht statt. Die präqualifizierten Unternehmen sind allerdings verpflichtet, alle für die Präqualifikation relevanten Änderungen mitzuteilen. Ob die Unternehmen dieser Pflicht auch letztendlich nachkommen, kann von der DIHK nicht selbst überprüft werden. Aus der Praxis gibt es Hinweise, dass die Eintragung als Präqualifizierungsmöglichkeit von Unternehmen genutzt wird, deren Präqualifikation auf dem Wege der Zertifizierung (s. u.) abgelehnt wurde. [...]

b) Präqualifikation durch Zertifizierung

Die Präqualifizierung durch Zertifizierung eines Unternehmens erfolgt auf dessen Betreiben und kann durch eigens hierfür akkreditierte Konformitätsbewertungsstellen durchgeführt werden. Zuständig für die Akkreditierung von Konformitätsbewertungs- bzw. Zertifizierungsstellen ist die Deutsche Akkreditierungsstelle GmbH (DAkkS). Die DAkkS ist eine juristische Person des Privatrechts, die die Funktion der nationalen Akkreditierungsstelle der Bundesrepublik Deutschland wahrnimmt; Gesellschafter sind zu je einem Drittel der Bund, die Länder Bayern, Hamburg und Nordrhein-Westfalen gemeinsam sowie die deutsche Wirtschaft, vertreten durch den Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI). Die DAkkS fungiert im Wege der Beleihung als Behörde im Sinne des § 1 Absatz 4 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) und nimmt hoheitliche Aufgaben wahr. Sie arbeitet nicht gewinnorientiert.

Für den hier betroffenen Bereich der Präqualifizierung im Kurier‑, Express- und Paketdienstbereich (PQ-KEP) wurde nach Einführung des Paketboten-Schutz-Gesetzes bei der DAkkS bislang ein Akkreditierungsantrag gestellt, der zu einer positiven Akkreditierungsentscheidung führte. Derzeit verfügt nur die Zertifizierung Bau GmbH über eine Akkreditierung der DAkkS als Konformitätsbewertungsstelle in diesem Bereich.

Voraussetzung für die Erteilung einer Zertifizierung durch die Zertifizierung Bau GmbH ist die regelmäßige Vorlage einer Reihe von Unterlagen. Dazu gehört ein aktueller Handelsregisterauszug, die Gewerbeanmeldung des Unternehmens, eine Kopie der Anzeige der Tätigkeit nach § 36 des Postgesetzes (PostG), Unbedenklichkeitsbescheinigungen der Steuer, Krankenkassen und Berufsgenossenschaften, ein aktueller Auszug aus dem Gewerbezentralregister sowie Eigenerklärungen zur Einhaltung gesetzlicher Vorgaben im Zusammenhang mit wirtschaftlicher Tätigkeit wie beispielweise dem Mindestlohngesetz.

Die in diesem Zusammenhang abgegebene Eigenerklärung führt bereits dazu, dass die Anforderungen an eine Zertifizierung umfangreicher als bei der Eintragung in ein amtliches Verzeichnis sind. Beispielsweise enthält sie eine direkte Verpflichtung zur Einhaltung gesetzlicher Pflichten im Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Tätigkeit (Zahlung Mindestlohn, Erfüllung sozialversicherungsrechtlicher Meldepflichten u. a.), während bei der Eintragung in ein amtliches Verzeichnis nur festgestellte Verstöße aus der Vergangenheit mitgeteilt werden müssen. Die Zertifizierung setzt zudem voraus, dass nicht nur der Inhaber oder Geschäftsführer des Unternehmens selbst keine Straftaten begangen hat, die seine Zuverlässigkeit in Frage stellen, sondern auch leitende Angestellte des Unternehmens. Auch die Zahl der Beschäftigten muss in dieser Eigenerklärung detaillierter aufgeführt werden. Zudem sind die Unternehmen verpflichtet, Angaben zu von ihnen beauftragten Sub-Subunternehmern zu machen und dafür Sorge zu tragen, dass auch diese Sub-Subunternehmer ihrerseits die vorgeschriebenen Anforderungen einhalten.

Nach erfolgreicher Prüfung der Zertifizierungsvoraussetzungen werden die präqualifizierten Paketdienstleister in einem von der Zertifizierung Bau GmbH gepflegten Online-Verzeichnis aufgeführt. Die meisten der geforderten Nachweise müssen von den Unternehmen – wie bei der Eintragung in ein amtliches Verzeichnis – im jährlichen Turnus vorgelegt werden. Die Zertifizierung Bau GmbH fordert von den präqualifizierten Nachunternehmern aktiv vierteljährlich Unbedenklichkeitsbescheinigungen der Sozialversicherungsträger an. Damit liegt der Zertifizierung hinsichtlich der ordnungsgemäßen Beitragsabführung an die Sozialversicherung ein regelmäßigerer und damit zuverlässigerer Prüfturnus zugrunde als der Eintragung in ein amtliches Verzeichnis. [...]

c) Entlastung durch Unbedenklichkeitsbescheinigungen

aa) Unbedenklichkeitsbescheinigungen durch die Einzugsstellen

Eine qualifizierte Unbedenklichkeitsbescheinigung wird von den Einzugsstellen grundsätzlich nur für einen befristeten Zeitraum von bis zu drei Monaten ausgestellt. Voraussetzung ist, dass der Arbeitgeber seinen Beitragsnachweis- und Zahlungsverpflichtungen pünktlich nachgekommen ist und das Beitragskonto keine Rückstände aufweist. Weitere Voraussetzungen bestehen nicht. Die Möglichkeit der Entlastung des Generalunternehmers durch Unbedenklichkeitsbescheinigung ist daher an deutlich weniger Voraussetzungen gebunden als die mittels Zertifizierung oder Eintragung in ein amtliches Verzeichnis. Eine umfassende Prüfung der Zuverlässigkeit des Unternehmers, analog zu den Voraussetzungen der Präqualifizierung, findet nicht statt. Aufgrund fehlender gesetzlicher Vorgaben ist die Ausstellung von Unbedenklichkeitsbescheinigungen zudem an keine Formvorgaben und Inhaltsangaben gebunden. In den von der FKS durchgeführten Schwerpunktprüfungen (s. o.) wurde zudem festgestellt, dass die Aussagekraft begrenzt ist, da keine Aussage darüber getroffen wird, ob der Nachunternehmer auch nicht gemeldete Arbeitnehmer beschäftigt, ob die gemeldeten den tatsächlich gezahlten Entgelten entsprechen und ob sonstige Mindestarbeitsbedingungen eingehalten werden. [...]

bb) Unbedenklichkeitsbescheinigungen durch den Träger der gesetzlichen Unfallversicherung

Die für die Durchführung der Unfallversicherung in der Paketbranche zuständige BG Verkehr hat insgesamt 131 Fälle dokumentiert, in denen die Haftung eines Generalunternehmers konkret geprüft wurde. Hiervon konnten sich in 14 Fällen die Unternehmer durch Unbedenklichkeitsbescheinigungen entlasten. In vier weiteren Fällen erfolgte eine Entlastung durch Präqualifikation. Entlastungen aufgrund der Eintragung in ein amtliches Verzeichnis wurden hingegen nicht verzeichnet.

Von der BG Verkehr werden Unbedenklichkeitsbescheinigungen in der Regel auf drei Monate befristet ausgestellt, bei Vorliegen einer Einzugsermächtigung auf sechs Monate. Die Antragstellerinnen und Antragsteller dürfen zum Zeitpunkt der Erteilung einer Unbedenklichkeitsbescheinigung keine Beitragsrückstände aufweisen. [...]“.

Auch strafrechtlich sind entsprechende Bescheinigungen überaus bedeutsam, wenngleich teilweise auch immer wieder der Vorwurf erhoben wird, entsprechende Unternehmen würden mit sog. Unbedenklichkeitspaketen agieren, so dass diese keine entlastende Bedeutung mehr zukommen könne.

Rechtsanwalt Prof. Dr. Carsten Wegner, Berlin


Verlag C.F. Müller

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