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Bundestag: Bundeskartellamt

Aus wistra 11/2023

In sanktionsrechtlicher Hinsicht ist auf verschiedene Punkte hinzuweisen:

Bußgeldverfahren: Im Berichtszeitraum (2021/2022) wurden mehrere Kartellabsprachen aufgedeckt und Bußgeldverfahren geführt. Diese richteten sich sowohl gegen die an den Absprachen beteiligten Personen als auch gegen die jeweiligen Unternehmen. 2021 wurden insgesamt ca. 104,7 Mio. EUR an Geldbußen festgesetzt (davon ca. 104,6 Mio. EUR gegen Unternehmen); 2022 lag der Betrag bei insgesamt ca. 23,8 Mio. EUR (davon ca. 23,7 Mio. EUR gegen Unternehmen). Die vereinnahmten Geldbußen erreichten 2021 insgesamt rd. 59,5 Mio. EUR und lagen 2022 bei insgesamt rd. 38,7 Mio. EUR (inkl. Verzugszinsen).

Durchsuchungen: 2021 führte das BKartA in eigenen Verfahren (nur) zwei Durchsuchungen in 16 Unternehmen und in drei Privatwohnungen durch. Daneben wurden zwei weitere Durchsuchungsaktionen in fremden Verfahren (für die Europäische Kommission bzw. Kartellbehörden anderer EU-Mitgliedstaaten) durchgeführt. 2022 ist die Anzahl der Durchsuchungen in fünf eigenen Fällen auf zwölf Aktionen (76 Unternehmen und zwölf Privatwohnungen) gestiegen. Darüber hinaus wurden sechs weitere Durchsuchungsaktionen in fremden Verfahren für andere Kartellbehörden (die Europäische Kommission bzw. Kartellbehörden anderer EU-Mitgliedstaaten) durchgeführt.

Kronzeugenprogramm: Mit der 10. GWB-Novelle (2021) räumte der Gesetzgeber dem BKartA einen Ausgestaltungsspielraum zur weiteren Konkretisierung des Kronzeugenprogramms ein. Hiervon hat das BKartA im August 2021 Gebrauch gemacht und ergänzende Leitlinien zum gesetzlichen Kronzeugenprogramm erlassen. In diesen Leitlinien traf das BKartA – wie bereits in der früheren Bonusregelung – Konkretisierungen zur Gestaltung des Verfahrens und zur Ermessensausübung, u.a. zur Höhe der Ermäßigung. Begleitend dazu veröffentlichte das BKartA auch ein Merkblatt mit den Kernbotschaften zum Kronzeugenprogramm auf seiner Internetseite. Tatsächlich ist allerdings ein Rückgang der Kronzeugenanträge zu beobachten, der mit der Umsetzung der europäischen Schadenersatzrichtlinie begann. Das BKartA nahm 2021 insgesamt lediglich zehn und 2022 insgesamt lediglich 13 Kronzeugenanträge nach dem Kronzeugenprogramm entgegen: „Der allgemeine Rückgang von Kronzeugenanträgen ist angesichts der überragenden Bedeutung von Kronzeugenprogrammen für die Aufdeckung von Kartellen bedenklich. Nach Einschätzung des Bundeskartellamtes ist dies nicht zuletzt auf die Ungewissheit potentieller Kronzeugen wegen nachträglicher Schadensersatzansprüche zurückzuführen (...)“.

Bußgeldzumessung: Neben den konkretisierenden Leitlinien zum Kronzeugenprogramm erließ das BKartA im Oktober 2021 auch neue Bußgeldleitlinien. Hierin wurden die Zumessungskriterien berücksichtigt, die im Zuge der 10. GWB-Novelle erstmals und nicht abschließend im Gesetz benannt worden sind (§ 81d Abs. 1 GWB). So erkannte der Gesetzgeber u.a. das Kriterium des tatbezogenen Umsatzes ausdrücklich an; darüber hinaus gehören sowohl Vor- als auch Nachtat-Compliance zu den gesetzlich verankerten Kriterien der Bußgeldzumessung. Die neuen Bußgeldleitlinien des BKartA nehmen darauf Bezug und konkretisieren die Bußgeldbemessung.

Hinweisgebersystem: Neben dem kartellrechtlichen Kronzeugenprogramm sind Hinweise von Externen sowie das Sichten öffentlich zugänglicher Quellen („Screening“ im weiteren Sinne) wichtige Instrumente zur Aufdeckung kartellrechtlicher Verstöße. Zu den Hinweisen von Externen gehören Informationen seitens anderer öffentlicher Instanzen (insb. von anderen Wettbewerbsbehörden, Vergabestellen und Staatsanwaltschaften), aber auch von Insidern (Mitarbeitern oder Vertragspartnern). Die Möglichkeit (anonymer) Eingaben soll zur Destabilisierung von Kartellen beitragen. Seit 2012 können Hinweise auf Verstöße gegen das Kartellrecht beim BKartA auch über ein digitales Hinweisgebersystem (BKMS) abgegeben werden. Im Berichtszeitraum 2021/2022 sind insgesamt 913 Hinweise über das elektronische Hinweisgebersystem eingegangen. Davon entfielen 411 auf den Bereich möglicher Verstöße gegen das Verbot wettbewerbsbeschränkender Absprachen.

Wettbewerbsregister: Das auf Grundlage des Wettbewerbsregistergesetzes (WRegG) neu geschaffene Wettbewerbsregister läuft seit Juni 2022 im vollen Wirkbetrieb. Es wird als rein elektronische Datenbank geführt. Das bundesweit abrufbare Register unterstützt öffentliche Auftraggeber, Sektorenauftraggeber und Konzessionsgeber in Vergabeverfahren durch die Bereitstellung von Informationen bei der Prüfung von Ausschlussgründen nach den §§ 123, 124 GWB. Hierzu werden bestimmte, einem Unternehmen zurechenbare Wirtschaftsdelikte seitens der Verfolgungsbehörden an das Register gemeldet. In Vergabeverfahren ist vor Erteilung des Zuschlags die Abfrage des Wettbewerbsregisters ab einem bestimmten geschätzten Auftragswert verpflichtend. Im Übrigen besteht für Auftraggeber die Möglichkeit zur freiwilligen Konsultation des Registers. Seit Aufnahme des Wirkbetriebs sind im Berichtszeitraum rd. 6.000 Mitteilungen von den Staatsanwaltschaften, dem Zoll, den Finanzämtern und den Kartellbehörden übermittelt worden. Dabei handelt es sich ganz überwiegend um Sanktionsentscheidungen gegen natürliche Personen, deren Taten nach Maßgabe des § 2 Abs. 3 WRegG einem Unternehmen zugerechnet wurden. Hierbei wird die Bewertung der Zurechnung zu einem Unternehmen seitens der mitteilenden Behörden getroffen und im Rahmen der Meldung an das Register vermerkt. Unmittelbar gegen Unternehmen ergangene Bußgeldentscheidungen wurden bislang in deutlich geringerem Umfang an das Register gemeldet. Die mit Abstand häufigsten Eintragungen erfolgten wegen Verstößen gegen § 370 AO und § 266a StGB.

Eintragungen im Wettbewerbsregister werden je nach zugrunde liegendem Delikt drei oder fünf Jahre nach Rechtskraft bzw. Erlass der zu meldenden Sanktionsentscheidung gelöscht. Darüber hinaus kann eine vorzeitige Löschung einer Eintragung angesichts durchgeführter Selbstreinigungsmaßnahmen beantragt werden. Ein solcher Antrag ist gebührenpflichtig. Hat das Unternehmen die Selbstreinigung nachgewiesen, hat die Entscheidung der Registerbehörde über die vorzeitige Löschung der Eintragung Bindungswirkung. Das der Eintragung zugrunde liegende Fehlverhalten darf dann von Auftraggebern in Vergabeverfahren nicht mehr als Grundlage für einen Ausschluss herangezogen werden. Eine erfolgreiche Selbstreinigung setzt nach § 125 GWB voraus, dass das Unternehmen die durch das Fehlverhalten entstandenen Schäden ausgleicht, aktiv mit den Ermittlungsbehörden zusammenarbeitet und technische, organisatorische sowie personelle Maßnahmen zur Vermeidung weiteren Fehlverhaltens trifft (sog. Compliance-Maßnahmen). Im Falle einer Eintragung wegen Verstößen nach § 370 AO bzw. nach §  266a StGB erfordert die Selbstreinigung gem. § 123 Abs. 4 S. 2 GWB lediglich den Nachweis der Nachzahlung der geschuldeten Beträge. Im November 2021 hat die Registerbehörde nach Maßgabe des § 8 Abs. 5 WRegG Leitlinien zur vorzeitigen Löschung einer Eintragung aus dem Wettbewerbsregister erlassen. Hierin werden die Maßstäbe konkretisiert, nach denen das BKartA die Voraussetzungen für die vergaberechtliche Selbstreinigung prüft. Neben materiellen Festlegungen enthalten die Leitlinien Anforderungen an die seitens der antragstellenden Unternehmen einzureichenden Angaben und Nachweise.

Rechtsanwalt Prof. Dr. Carsten Wegner, Berlin


Verlag C.F. Müller

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