Aus wistra 6/2023
In Bayern wurde unter einem weiteren Blickwinkel nach der Situation in der Steuerverwaltung gefragt. Die Staatsregierung teilt in diesem Zusammenhang in einem umfangreichen parlamentarischen Vorgang u.a. mit (Drs. 18/25678), dass sämtliche BMF-Schreiben betreffend Cum-Cum-Gestaltungen durch die Landesfinanzverwaltung berücksichtigt wurden. Nach Mitteilung der Staatsanwaltschaft München I seien alle dort feststellbaren und zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der BMF-Schreiben bereits erledigten Vorermittlungsverfahren nochmals im Hinblick auf die im BMF-Schreiben vertretenen Rechtsauffassungen geprüft worden. Ein Anlass zu einer Wiederaufnahme habe sich dabei jeweils nicht ergeben. Bei der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth sei darüber hinaus derzeit ein Vorermittlungsverfahren anhängig, dem möglicherweise ein Cum-Cum-Sachverhalt zugrunde liege. Derzeit würden die dem Vorermittlungsverfahren zugrunde liegenden Wertpapiergeschäfte einer steuerstrafrechtlichen Würdigung unterzogen und daraufhin geprüft, ob sich aus dem Vorgang der Anfangsverdacht einer Steuerhinterziehung ergibt. Für den Geschäftsbereich des Staatsministeriums der Finanzen wird mitgeteilt, dass die Anwendung der geänderten BMF-Schreiben auch von den Finanzämtern für alle in Bayern bekannten Cum-Cum-Fälle geprüft wurde (betroffene Jahre: 2009 bis 2015).
In den Cum-Ex-Fallkomplexen (dies schließt auch gemeinsame Fallbearbeitungen mit anderen [Bundes-]Behörden ein) wurden nach den Angaben der Staatsregierung bislang 446,64 Mio. EUR an Rückforderungen beglichen oder Anrechnungen von den bayerischen Finanzämtern verwehrt (neun Fallkomplexe; davon bestands-/rechtskräftige Rückforderungen i.H.v. 34,79 Mio. Euro und bestands-/rechtskräftige Anrechnungsverwehrungen i.H.v. 88,26 Mio. EUR, davon nicht bestands-/rechtskräftig 323,59 Mio. EUR). Es bestünden aktuell offene Rückforderungen i.H.v. 14,26 Mio. EUR (drei Fallkomplexe) sowie ein geschätztes Rückforderungsvolumen von 284,96 Mio. EUR aus derzeit noch offenen Fallbearbeitungen (sieben Fallkomplexe). Weitere mögliche Cum-Ex-Verdachtsfälle würden geprüft.
Zur zentralen, bayernweiten Bearbeitung von Cum-Ex-Gestaltungen im Rahmen von Betriebsprüfungen wurde im Jahr 2015 eine Cum/Ex-Task-Force am Finanzamt München eingerichtet. Dabei handelt es sich jedoch nicht um eine steuerstrafrechtliche Ermittlungseinheit.
Zu Umsatzsteuerkarussellen werden in Bayern keine statistischen Aufzeichnungen geführt. Umsatzsteuerkarusselle im engeren Sinne werden – so führt das zuständige Ministerium aus – zwischenzeitlich seltener beobachtet; vielmehr dominieren grenzüberschreitende betrügerische Lieferketten. Eine Schätzung der Einnahmeverluste sei nicht möglich. Dabei sei zu berücksichtigen, dass sich Teile betrügerischer Lieferketten auch über Bayern erstrecken können, der letztliche Steuerschaden aber in einem anderen Bundesland oder Mitgliedstaat der EU entsteht.
Rechtsanwalt Prof. Dr. Carsten Wegner, Berlin