Aus wistra 4/2023
Der Landesrechnungshof Bayern hat sich in seinem Jahresbericht 2022 der steuerrechtlichen Aufarbeitung von Cum/Ex- und Cum/Cum-Fällen gewidmet. Zusammenfassend heißt es: „Steuerpflichtige versuchten mittels Cum/Ex- und Cum/Cum-Gestaltungen in Bayern unrechtmäßige Steuervorteile von mindestens 865 Mio. EUR zu erlangen. Davon sind 390 Mio. EUR noch nicht wieder zurückgezahlt worden. Um zukünftigen Herausforderungen adäquat entgegenzutreten, empfiehlt der ORH dringend, die Prüfung von Kreditinstituten stärker zu zentralisieren und damit Spezialwissen zu bündeln“.
Der Oberste Rechnungshof (ORH) hat 2020 in einer Querschnittsuntersuchung die steuerrechtliche Aufarbeitung von Cum/Ex- und Cum/Cum-Fällen geprüft. Dazu führte er örtliche Erhebungen beim Landesamt für Steuern (LfSt) sowie bei den Finanzämtern München und Nürnberg-Zentral durch. Im Fokus der Erhebungen standen die für die Aufarbeitung von Cum/Ex- bzw. Cum/Cum-Gestaltungen zuständigen Sonderstellen.
Die Ausgangslage wird wie folgt beschrieben:
„Durch Cum/Ex-Gestaltungen wird eine einmal abgeführte Kapitalertragsteuer (KapESt) mehrfach erstattet oder angerechnet. Diese Vorgänge liefen von der Grundstruktur wie folgt ab: Kurz vor dem Dividendentermin veräußerte ein Leerverkäufer Aktien mit (cum) Dividendenanspruch an einen (Leer-)Käufer. Tatsächlich erwarb der Leerverkäufer die Aktien selbst erst nach dem Dividendentermin vom ursprünglichen Aktieninhaber und lieferte sie sodann ohne Dividendenanspruch (ex) an den Leerkäufer zzgl. einer Kompensation in Höhe der Netto-Dividende. Die Depotbanken des Leerkäufers und des Aktieninhabers bescheinigten jeweils den Einbehalt der KapESt. So erhielten sowohl der ursprüngliche Aktieninhaber als auch der Leerkäufer eine Steuergutschrift, obwohl die KapESt (grundsätzlich 25 %) nur einmal abgeführt worden war. Den so entstandenen „Gewinn“ teilten die Beteiligten untereinander auf.“
Und weiter:
„Durch Cum/Cum-Gestaltungen umgingen ausländische Inhaber von Aktien die Verpflichtung, KapESt in Höhe von 15 % der Dividendenerträge abzuführen, indem sie ihre Aktien über den Dividendentermin kurzfristig an voll KapESt-Anrechnungsberechtigte inländische Steuerpflichtige übertrugen. Nach dem Dividendenstichtag wurden die Aktien wieder zurückübertragen.“
Der Bundesverband deutscher Banken hat das Bundesfinanzministerium 2002 darüber informiert, dass am Finanzmarkt Cum/Ex-Geschäfte mit Leerverkäufen getätigt werden. Der Bund habe versucht, derartige Gestaltungen durch Gesetzesänderungen sowie BMF-Schreiben einzudämmen bzw. zu verhindern: Das Jahressteuergesetz 2007 habe Regelungen zur Vermeidung von Steuerausfällen enthalten, die bei der Abwicklung von Aktiengeschäften in unmittelbarer zeitlicher Nähe zum Gewinnverteilungsbeschluss entstehen können. Trotzdem sei es weiterhin zu Steuerausfällen gekommen, wenn sich Leerverkäufer einer ausländischen Depotbank bedienten. Zum 1.1.2012 sei durch das sog. OGAW-IV-Umsetzungsgesetz die Verpflichtung zum Einbehalt der KapESt auf die die Kapitalerträge auszahlenden Stellen verlagert worden. Diese Änderung habe das Auseinanderfallen von der KapESt-abführenden Stelle einerseits und der die Steuerbescheinigung ausstellenden Stelle andererseits beendet. Cum/Ex-Geschäfte sollten damit endgültig verhindert werden. Cum/Cum-Geschäfte sollten mit Einführung des § 36a EStG im Jahr 2016, der die Anrechenbarkeit von KapESt beschränkt, wirksam unterbunden werden.
Beispielhaft wird durch den ORH ausgeführt, dass in allen Cum/Ex-Fällen Kreditinstitute – direkt oder als Depotbanken für Investmentfonds oder sonstige Kapitalgesellschaften – beteiligt gewesen sind. Cum/Ex-Gestaltungen hätten grundsätzlich im Rahmen einer Betriebsprüfung (Bp) bei Kreditinstituten entdeckt werden können. Dies würde aber entsprechende Sensibilität und Spezialkenntnisse der Prüfer voraussetzen. Spätestens 2010 seien zumindest einzelnen Bp-Stellen aus einem internen Prüfungsleitfaden Hinweise auf Cum/Ex-Gestaltungen im Bundesgebiet bekannt gewesen. In Bayern habe die Zuständigkeit zunächst dezentral bei den 40 Bp-Stellen gelegen.
Für die Prüfung von Kreditinstituten seien an einigen Finanzämtern nur einzelne Betriebsprüfer zuständig gewesen, denen am eigenen Finanzamt regelmäßig kein Ansprechpartner für den fachlichen Austausch zur Verfügung stand. Ein landesweiter Erfahrungsaustausch zur Prüfung von Kreditinstituten habe 2017 nur eintägig mit 94 Teilnehmern stattgefunden. 2013 sei durch die Steuerfahndungsstelle München eine eigene Ermittlungsgruppe gegründet worden.
Zusammenfassend kommt der ORH zu dem Ergebnis, Betriebsprüfungen zu zentralisieren. Angesichts der enormen Steuerausfallrisiken von mindestens 865 Mio. EUR (Bayern) würde die Argumentation des Finanzministeriums ggü. dem ORH nicht überzeugen. Die Bündelung von anspruchsvollen Spezialkenntnissen habe sich gerade am Beispiel der Cum/Ex-Gestaltungen als adäquate Maßnahme gegen steuerliche Gestaltungsmodelle auf dem Finanzsektor erwiesen. Erst durch die von der Verwaltung speziell eingerichteten, zentralisierten Stellen in Steuerfahndung und Betriebsprüfung hätten derart komplexe Gestaltungen effektiv aufgedeckt werden können. Um künftigen Herausforderungen angemessen entgegenzutreten, empfiehlt der ORH daher dringend eine stärkere Bündelung der Prüfung von Kreditinstituten. Allein mit turnusmäßigen Erfahrungsaustauschen könne die Sicherung von Spezialkenntnissen nicht ausreichend gewährleistet werden. Die Vorteile von zentralisiertem Spezialwissen in diesem Bereich würden die Nachteile einer etwas ortsferneren Prüfung aus Sicht des ORH deutlich überwiegen.
Rechtsanwalt Prof. Dr. Carsten Wegner, Berlin