Aus wistra 3/2023
Dass die Steuerhinterziehung mehr und mehr zu einem Computerdelikt (d.h. ohne jedwede klassische Täuschungsrelevanz) wird, deutet der Jahresbericht 2022 des Landesrechnungshofs Brandenburg an. Unter der Überschrift „Weiterhin Optimierungspotenzial bei der Veranlagung von Einkommensteuerfällen im Risikomanagementsystem“ wird Einblick in finanzbehördliche Abläufe gegeben. Der Landesrechnungshof konstatiert, dass die Finanzämter „ihre statistischen Kennzahlen weiter verbessern (konnten)“; allerdings bestehe noch Verbesserungspotential.
Die Steuerverwaltung des Landes Brandenburg setzt seit dem Jahr 2017 für die Veranlagung zur Einkommensteuer landesweit das maschinelle Verfahren RMS Veranlagung 2.0 (RMS 2.0) ein. Das Verfahren nimmt bei der Bearbeitung der Steuererklärungen maschinelle Plausibilitätsprüfungen vor und steuert potentiell risikobehaftete Sachverhalte durch Risikohinweise zur personellen Prüfung aus. Die Bediensteten der Veranlagungsstelle haben zuvor entsprechend dem zu erwartenden steuerlichen Risiko jedem Steuerfall eine Risikoklasse zugeordnet. Diese bestimmt den Umfang des programmgesteuerten Risikofilters und die vorgesehene Intensität der personellen Fallbearbeitung:
- Für Steuerfälle mit höherem Risiko ist die Risikoklasse 1 vorgesehen.
- Die Risikoklasse 2 ist Fällen mit mittlerem Risiko zuzuordnen.
- Für Steuerfälle, die nach den Erfahrungen der Vergangenheit und nach Betrachtung aller Gesamtumstände risikoarm sind, ist die Risikoklasse 3 zu vergeben.
- Der Risikoklasse BP unterliegen Steuerfälle, die für eine Betriebsprüfung vorgesehen sind.
Die Einstufung in eine Risikoklasse soll sich an standardisierten objektiven Kriterien orientieren, die Entscheidung ist auf der Grundlage der konkreten Umstände des Einzelfalls zu treffen. Der Landesrechnungshof hatte bereits zuvor die elektronische Bearbeitung von risikoarmen Steuerfällen sowie die Bearbeitung von Fällen der Zufallsauswahl und ausgewählter Turnushinweise geprüft. Nunmehr untersuchte er die Bearbeitung von Steuerfällen, denen er ein höheres Risikopotential zumaß. Er betrachtete bei zwei Finanzämtern Steuerfälle der Risikoklassen 1 und 2 sowie der Risikoklasse BP. Dabei sah er u.a. die Steuerakten von insgesamt 282 Steuerfällen mit 726 Veranlagungen ein, vor allem aus den Veranlagungszeiträumen 2017 und 2018.
Unter „Grundsätzliche Anmerkungen“ führt der Landesrechnungshof aus:
„Die vorgefundene Praxis der Vergabe der Risikoklassen führte letztendlich dazu, dass die vorgesehenen Kriterien nicht gleichmäßig angewendet wurden und gleichartige Steuerfälle unterschiedlichen Risikofiltern und Bearbeitungsvorgaben unterlagen. Zwar muss ein anhängiges Strafverfahren nicht durchgehend zur Vergabe der Risikoklasse 1 führen. Die subjektiven Einschätzungen konnte der Landesrechnungshof jedoch häufig nicht nachvollziehen, da die Gründe für die jeweilige Risikoprognose nicht dokumentiert werden mussten. Die Einschätzung der Beauftragten des Landesrechnungshofs stimmte damit jedenfalls mehrfach nicht überein. Sie hätten bei einigen Fällen bzw. Fallgruppen anhand der objektiven Kriterien vielmehr eine andere Zuordnung vorgenommen, die sowohl höhere als auch geringere Risikopotenziale berücksichtigt hätte.
Das Risikoklassenmodell als solches war entwickelt und eingeführt worden, weil für Fälle mit Gewinneinkünften – abgesehen von den Einnahmeüberschussrechnungen (EÜR) – die für eine hinreichende maschinelle Risikoanalyse erforderlichen betrieblichen Daten noch nicht in elektronisch auswertbarer Form vorlagen. Insbesondere fehlten Daten zur Bilanz sowie zur Gewinn- und Verlustrechnung, maschinelle Risikoregeln konnten insoweit noch nicht gebildet werden. In den letzten Jahren wurde das RMS 2.0 aber fortlaufend evaluiert und weiterentwickelt. Mittlerweile kommt es für alle Veranlagungen unbeschränkt steuerpflichtiger natürlicher Personen zum Einsatz. Dabei kann es inzwischen auf sämtliche Gewinnermittlungsdaten zugreifen. Sowohl EÜR als auch elektronische Bilanzen (E Bilanzen) halten grundsätzlich elektronische Daten für eine maschinelle Überprüfung bereit. Zudem stehen für die maschinelle Risikoprüfung immer mehr elektronisch übermittelte Daten zur Verfügung. Die Regelungen der Filter selbst werden durch eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe regelmäßig auf ihre Wirksamkeit analysiert und inhaltlich angepasst. Zudem wird der Bestand an Risikoregelungen stetig ausgebaut.“
Rechtsanwalt Prof. Dr. Carsten Wegner, Berlin