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Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Richtlinie über die Einziehung und Abschöpfung von Vermögenswerten

Aus wistra 7/2022

Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Richtlinie über die Abschöpfung und Einziehung von Vermögenswerten (COM[2022] 245 final) 

Materialien:
Rechtsfolgenabschätzung der Kommission (SWD[2022] 245 final); deutsche Zusammenfassung der Rechtsfolgenabschätzung (SWD[2022] 246 final); Stellungnahme des Ausschusses für Regulierungskontrolle (SEC[2022] 245); Europäische Kommission, Study on freezing, confiscation and asset recovery – What works, what does not work: final report, 2022; Europäische Kommission, Bericht „Abschöpfung und Einziehung von Vermögenswerten: Straftaten dürfen sich nicht auszahlen“ (COM[2020] 217 final); Juristischer Dienst des Rates, Stellungnahme zur Rechtsgrundlage des Richtlinienvorschlags von 2012 (Ratsdokument 13688/12 + COR 1; nur teilweise veröffentlicht). 

Die Kommission hat am 25.5.2022 einen Vorschlag für eine Richtlinie über die Abschöpfung und Einziehung von Vermögenswerten vorgelegt. Der Vorschlag sieht im Vergleich zu der aufzuhebenden Richtlinie über Sicherstellung und Einziehung von 2014 (2014/42/EU) weiterreichende Regelungen zum Aufspüren, Sicherstellen und Einziehen von Vermögenswerten vor. Gleichzeitig enthält er neue Aufgaben und Befugnisse für Vermögenabschöpfungsstellen, Vorgaben zur Verwaltung von sichergestelltem und eingezogenem Vermögen, zu Vermögensabschöpfungsstrategien und Vermögensregistern sowie zu Ressourcen und Statistiken. Eine Besonderheit ist, dass die Richtlinie nicht nur die Abschöpfung und Einziehung von inkriminiertem Vermögen behandelt, sondern zugleich Regelungen zur wirksamen Umsetzung von Sanktionsmaßnahmen und zu einer daran anschließenden Vermögensabschöpfung schaffen will, soweit dies zur „Verhütung, Aufdeckung oder Untersuchung“ von Sanktionsverstößen erforderlich ist (Art. 1[2]). Die Änderungen seien erforderlich, um der Bedrohung der EU durch die profitgetriebene Organisierte Kriminalität (OK) entgegenzutreten (RL-Vorschlag, S. 1). Die „Unwirksamkeit“ der geltenden Vermögensabschöpfungsregelungen sei auf die unzureichenden Befugnisse der Behörden, die ineffiziente Verwaltung von sichergestelltem Vermögen und auf die beschränkten Einziehungsinstrumente zurückzuführen (RL-Vorschlag, S. 2, Rechtsfolgenabschätzung, S. 9). So sei das geltende Recht nicht geeignet, um Kriminellen, die Beweise für ihre Verbindungen zu Straftaten versteckten oder vernichteten, Taterträge zu entziehen (Rechtsfolgenabschätzung, S. 22, 26).

Zusammen mit dem Richtlinienvorschlag hat die Kommission einen Vorschlag zur Erweiterung von Art. 83(1) AEUV um Verstöße gegen restriktive Maßnahmen der EU („Sanktionsverstöße“ (COM[2022] 247 final) sowie eine begleitende Mitteilung vorgelegt, in deren Anhang bereits ein darauf zu stützender Richtlinienvorschlag zur strafrechtlichen Harmonisierung von Sanktionsverstößen skizziert wird (COM[2022] 249 final).
 

1. Einziehungsvorschriften und begleitende Regelungen 

Der Richtlinie liegt ein weiter Ertragsbegriff zugrunde, der im deutschen Recht eher dem „Herrühren“ (§§ 76a IV, 261 I StGB) als dem „Erlangen“ (§ 73 I StGB) gleicht. So gelten auch Gegenstände, die nicht unmittelbar durch die Tat erlangt worden sind, sondern erst im Anschluss daran mit Taterträgen erworben oder vermischt wurden, und deren Nutzungen als „Tatertrag“ (Art. 3[1], Erwägungsgrund 13, die Art. 2[1] bzw. Erwägungsgrund 11 der Richtlinie 2014/42 entsprechen zur deutschen Rechtslage s. Fischer, StGB, 69. Aufl. 2019, § 73 Rz. 28, 33). Bei der Wertersatzeinziehung (Art. 12[2]) wird – anders als im deutschen Recht (§ 74c StGB) – nicht zwischen Taterträgen und Tatmitteln differenziert (s. dazu Erwägungsgrunde 17 der geltenden Richtlinie 2014/42/EU, wonach berücksichtigt werden kann, „ob und inwieweit die verurteilte Person dafür verantwortlich ist, dass die Einziehung der Tatwerkzeuge nicht möglich ist)“. Die Kategorie der Tatobjekte (§ 74 I StGB) kommt in dem RL-Vorschlag ebenso wenig wie in der geltenden Richtlinie vor, was insbesondere bei der angestrebten Einziehung aufgrund von Sanktionsverstößen noch Fragen aufwerfen könnte, da es sich bei sanktionsbetroffenen Gegenständen insoweit um Tatobjekte handelt.

Der Anwendungsbereich der erweiterten Einziehung ist nach der geltenden Richtlinie auf einen kleineren Kreis von Anlasstaten beschränkt (Art. 5[2] Richtlinie 2014/42/EU), der jetzt erweitert werden soll (Art. 14, 2[1]–[4]). In Deutschland ist die erweiterte Einziehung (§ 73a StGB) seit der Reform von 2017 ohnehin bei allen Straftaten anwendbar; allerdings soll bei ihr nunmehr die Einziehung von Nutzungen und Surrogaten ausgeschlossen sein (Eser/Schuster in: Schönke/Schröder StGB 30. Aufl. 2019, § 73a Rz. 8).

Die Einziehung ohne vorherige Verurteilung (Art. 15 – non-conviction based confiscation) soll ebenfalls ausgeweitet werden und nicht nur bei Krankheit oder Flucht des Betroffenen möglich sein, sondern auch bei den Verfolgungshindernissen Tod, Immunität, Amnestie und Verjährung, was im deutschen Recht mit §§ 76a I, II, 73b I Nr. 3, II StGB bereits weitgehend möglich ist. Allerdings differenziert die Richtlinie auch hier nicht zwischen Tatertrag und Tatmittel (dessen Einziehung in §§ 76a II, 73b StGB nicht vorgesehen ist). In Verjährungsfällen ist eine Einziehung nach Art. 15 nur vorgeschrieben, falls die (nationale) Verjährungsfrist nicht ausreichend lang sein sollte (Art. 15[1][f]).

Neu ist die Einziehung von Vermögen unklarer Herkunft im Zusammenhang mit kriminellen Aktivitäten (Art. 16). Die Vorschrift ähnelt der 2017 eingeführten selbständige Einziehung von inkriminiertem Vermögen unklarer Herkunft (§ 76a IV StGB) und lässt bei Vermögensgegenständen, die in OK-Ermittlungen sichergestellt werden, eine Einziehung auch dann zu, wenn eine Verurteilung wegen einer zugrunde liegenden Tat nicht möglich ist, die kriminelle Herkunft des Vermögens aber zur Überzeugung des Gerichts feststeht (Art. 16[1]). Der Vorschlag sieht keine Regelung zur Beweislastumkehr oder Absenkung von Beweisanforderungen vor, sondern schreibt nur vor, dass bei der Überzeugungsbildung alle Umstände des Falles zu berücksichtigen sind einschließlich einer Diskrepanz zwischen dem Wert des sichergestellten Vermögens und dem legalen Einkommen des Betroffenen (Art. 16[2]), was weitgehend § 437 StPO entspricht, dessen Auslegung und Auswirkungen freilich umstritten sind (vgl. El-Ghazi / Marstaller / Zimmermann, NZWiSt 2021, 297 ff.; MünchKomm/StPO/Scheinfeld / Langlitz, 2019, § 437 Rz. 9). Eine entsprechende Unschärfe enthält Erwägungsgrund 28, der von einer dem Betroffenen einzuräumenden Möglichkeit spricht, den verlangten Nachweis der legalen Herkunft zu erbringen.

Bei seinem Anlasstatenkatalog geht Art. 16 etwas weiter als das deutsche Recht, da er auch bestimmte im OK-Rahmen begangene Straftaten enthält (Art. 16[3], 2[2]), die in § 76a IV StGB nicht vorgesehen sind. Allerdings ist § 76a IV StGB bei der Bildung einer kriminellen Vereinigung anwendbar (§ 76a IV 3 Nr. 1 Buchst. b StGB), so dass der Unterschied gering sein dürfte. Umgekehrt verlangt der Richtlinienvorschlag, dass die Herkunft aus im OK-Rahmen begangenen Straftaten feststeht (Art. 16[1][c]), und ist insoweit etwas enger als die deutsche Regelung, die jegliche kriminelle Herkunft ausreichen lässt.

Die Regelungen zum Aufspüren (Art. 4) und Sicherstellen (Art. 11) von Vermögenswerten bringen nur wenige Neuerungen (s. aber sogleich zu den Befugnissen der Vermögensabschöpfungsstellen).

Eine Verwendung von eingezogenem Vermögen für soziale Zwecke („social re-use“) wird weiterhin nicht vorgeschrieben, sondern den Mitgliedstaaten nur zu erwägen gegeben (Art. 17[2]).

Die Regelungen über das Aufspüren, Sicherstellen und Einziehen von Vermögenswerten sollen auch für Erträge aus (noch zu harmonisierenden) strafbaren Sanktionsverstößen gelten (Art. 2[3]), die Regelungen über das Aufspüren darüber hinaus auch für die Verhütung, Aufdeckung und Untersuchung solcher Straftaten (Art. 4[2]).
 

2. Vermögensabschöpfungsstellen 

Vermögensabschöpfungsstellen zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit mussten die Mitgliedstaaten schon aufgrund des Ratsbeschlusses 2007/845/JI von 2007 einrichten; in Deutschland sind dies BKA und BfJ (BT-Drucks. 19/28164, 2). Nach der Neuregelung müssten diese Stellen zukünftig selbst vermögenssichernde Sofortmaßnahmen ergreifen können (Art. 11[3]). Außerdem sollen sie weitreichende Befugnisse zum direkten und sofortigen Zugriff auf erforderliche Informationen auch von Steuer , Strafverfolgungs- und Gefahrenabwehrbehörden erhalten (Art. 6–8) und umfassend und fristgebunden mit Vermögensabschöpfungsstellen anderer Mitgliedstaaten Informationen austauschen (Art. 9, 10), die dann nach nationalen Verfahrensvorschriften als Beweismittel in gerichtliche Strafverfahren eingeführt werden können müssen (Art. 9[4]).

Als weitere Aufgabe sollen die Vermögensabschöpfungsstellen zukünftig auch Vermögen von sanktionsbetroffenen Personen (bei dem es sich auch um legal erworbenes Vermögen handeln kann) aufspüren, soweit dies zur Verhütung, Aufdeckung und Untersuchung von Straftaten und damit zu einer über die Vermögensabschöpfung hinausgehenden polizeilichen bzw. staatsanwaltschaftlichen Aufgabe erforderlich ist, und dazu mit zuständigen Stellen anderen Mitgliedstaaten zusammenarbeiten und Informationen austauschen (Art. 5[3] und [2][d]). Zur Verhütung, Aufdeckung und Untersuchung von Sanktionsverstößen sollen sie zudem vermögenssichernde Sofortmaßnahmen ergreifen können (Art. 5[4]).


3. Vermögensverwaltung 

Zur effizienteren Vewaltung von sichergestelltem und eingezogenem Vermögen sollen die Mitgliedstaaten Vermögensverwaltungsstellen (Asset Management Offices) schaffen (Art. 21), die entweder selbst für die Vermögensverwaltung zuständig sind oder andere Behörden darin unterstützen. Vorgeschrieben werden soll weiter, dass vor jeder Sicherstellung die etwaigen Kosten der Vermögensverwaltung bewertet werden (Art. 19[2]) und Notverkäufe erfolgen können (Art. 20).
 

4. Rechtsbehelfe und Verfahrensgarantien 

Regelungen zu rechtlichem Gehör, Verteidigung und Rechtsbehelfen finden sich in Art. 23, 15(3), 16(4) und 20(3). In Art. 23(5) ist auch eine Härtefallklausel vorgesehen, die es seit der Reform von 2017 im deutschen Recht so nicht mehr gibt. Eine Härtefallprüfung erfolgt danach nicht mehr bei der Einziehungsentscheidung, sondern erst bei ihrer Vollstreckung (§ 459g V StPO).
 

5. Strategien, Ressourcen, Register und Statistiken 

Nach dem Willen der Kommission sollen sich die Mitgliedstaaten nationale Vermögensabschöpfungsstrategien geben und diese alle fünf Jahre aktualisieren (Art. 24). Sie sind nach Art. 25 außerdem verpflichtet, notwendige personelle und sachliche Ressourcen vorzuhalten. Statistiken sollen die Mitgliedstaaten umfassend auf zentraler Ebene führen (Art. 27). Die Regelung der Einzelheiten soll dabei an die Kommission delegiert werden (Art. 27[3], 30). Ganz ähnliche Vorschriften finden sich in dem Kommissionsvorschlag für eine Richtlinie zum strafrechtlichen Schutz der Umwelt, der derzeit beraten wird (s. dazu Busch, wistra 2022, H. 6 R8)

Das geplante zentrale Register (Art. 26) soll Informationen über alle nach der Richtlinie der Sicherstellung oder Einziehung unterliegenden Vermögenswerte aufnehmen.

Oberstaatsanwalt beim BGH (Referatsleiter im BMJ) Markus Busch LL.M. (Columbia University), Berlin
Der Text gibt ausschließlich die persönliche Meinung des Verfassers wieder.


Verlag C.F. Müller

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