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Zweites Gesetz zur Änderung der Abgabenordnung und des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung

Aus wistra 8/2022

Regierungsentwurf eines Gesetzes zum Entwurf eines Beschlusses des Rates über die Feststellung des Verstoßes gegen restriktive Maßnahmen der Union als einen die Kriterien nach Artikel 83 Absatz 1 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union erfüllenden Kriminalitätsbereich 

Das Bundeskabinett hat am 13.7.2022 den Regierungsentwurf eines „Gesetzes zum Entwurf eines Beschlusses des Rates über die Feststellung des Verstoßes gegen restriktive Maßnahmen der Union als einen die Kriterien nach Artikel 83 Absatz 1 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union erfüllenden Kriminalitätsbereich“ beschlossen. Das Gesetz ist nach § 7 I Integrationsverantwortungsgesetz (IntVG) erforderlich, damit Deutschland der geplanten Ausweitung der europäischen Strafgesetzgebungskompetenz zustimmen kann.

Die Strafgesetzgebungskompetenz des Art. 83(1) UA 1 AEUV ermächtigt die EU, durch Richtlinien Mindestvorschriften zur Festlegung von Straftaten und Strafen in Bereichen besonders schwerer Kriminalität festzulegen, die aufgrund der Art oder der Auswirkungen der Straftaten oder aufgrund einer besonderen Notwendigkeit, sie auf einer gemeinsamen Grundlage zu bekämpfen, eine grenzüberschreitende Dimension haben. Zu diesen Bereichen zählen nach Art. 83(1) UA 2 AEUV u.a. Geldwäsche, Korruption, Fälschung von Zahlungsmitteln, Computerkriminalität und organisierte Kriminalität. Der Verstoß gegen Sanktionen („restriktive Maßnahmen“, wie zuletzt die als Reaktion auf den Ukraine-Angriff Russlands in mittlerweile sechs Paketen verhängten Sanktionen) gehört bislang nicht dazu. Die Liste kann aber erweitert werden. Dazu sieht Art. 83(1) UA 3 AEUV in einer Brückenklausel („Passerelle“) folgendes Verfahren vor: Der Rat kann „je nach Entwicklung der Kriminalität“ einen Beschluss erlassen, in dem andere Kriminalitätsbereiche bestimmt werden, die die in Art. 83(1) UA 1 AEUV genannten Kriterien (Bereich besonders schwerer Kriminalität mit grenzüberschreitender Dimension) erfüllen. Der Rat muss dabei einstimmig nach Zustimmung des Europäischen Parlaments beschließen (zur möglichen Überführung in die Mehrheitsentscheidung s. Art. 48[7] EUV, § 4 I IntVG). Der deutsche Vertreter im Rat darf einem solchen Beschluss nur zustimmen oder sich bei einer Beschlussfassung enthalten, nachdem hierzu ein Gesetz gem. Art. 23 I GG in Kraft getreten ist, das der Zustimmung des Bundesrats bedarf (§ 7 I 1 IntVG). Ohne ein solches Gesetz müsste Deutschland den Beschlussvorschlag im Rat ablehnen (§ 7 I 2 IntVG). Die IntVG-Regelung geht zurück auf das Lissabon-Urteil des BVerfG. Danach entspricht die Nutzung der dynamischen Blankettermächtigung nach Art. 83 I UA 3 AEUV in der Sache einer Erweiterung der geschriebenen Kompetenzen der Union und unterliegt deshalb dem Gesetzesvorbehalt des Art. 23 I 2 GG (BVerfG v. 30.6.2009 – 2 BvE 2/08 u.a., Rn. 363, 419). Eine von der Kommission Ende 2021 initiierte Erweiterung von Art. 83(1) AEUV auf „Hetze und Hasskriminalität“ (COM[2021] 777 final) war nicht zustande gekommen, nachdem sich im Rat das Fehlen der erforderlichen Einstimmigkeit abzeichnete.

1. Die Europäische Kommission hat nunmehr am 25.5.2022 einen Vorschlag über die Aufnahme des Verstoßes gegen restriktive Maßnahmen der Union in die Kriminalitätsbereiche nach Art. 83(1) AEUV vorgelegt (COM[2022] 247 final), der am 29.6.2022 vom Ausschuss der Ständigen Vertreter mit Änderungen bestätigt wurde (Ratsdokument 10287/1/22 REV 1). Das Europäische Parlament hat dem Beschlussentwurf am 7.7.2022 zugestimmt (EP-Dokument P9_TA[2022]0295).

Der Beschlussentwurf betont den Ausnahmecharakter des Kompetenzerweiterungsverfahrens und das Erfordernis einer sorgfältigen Prüfung der Kriterien (Erwägungsgrund 7). Entwicklungen der Kriminalität seien seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine zu beobachten und stellten außergewöhnliche Umstände dar (Erwägungsgrund 7). Zu der nach Art. 83(1) AEUV erforderlichen grenzüberschreitenden Dimension heißt es in Erwägungsgrund 13, dass Verstöße gegen restriktive Maßnahmen der Union eine klare und bisweilen sogar inhärente grenzüberschreitende Dimension hätten. Die Mehrheit der EU-Mitgliedstaaten stufe Verstöße gegen restriktive Maßnahmen bereits als Straftat ein, die Voraussetzungen der Strafbarkeit unterschieden sich aber (Erwägungsgrund 19) und die unterschiedlichen Definitionen und Strafen behinderten die einheitliche Anwendung der EU-Sanktionspolitik und könnten sogar zu Forum-Shopping führen (Erwägungsgrund 14). Eine Harmonisierung der Strafen für Sanktionsverstöße würde die Wirksamkeit, die Verhältnismäßigkeit und die abschreckende Wirkung solcher Strafen erhöhen (Erwägungsgrund 14). Der Verstoß gegen Sanktionsvorschriften sei auch eine besonders schwere Straftat im Sinne von Art. 83(1) AEUV, „da er den Weltfrieden und die internationale Sicherheit dauerhaft bedroht, die Festigung und Förderung von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten untergräbt sowie erheblichen wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und ökologischen Schaden verursachen kann“ (Erwägungsgrund 10).

Bereits heute enthalten EU-Sanktionsregelungen Vorgaben zur Ahndung von Sanktionsverstößen und zur Vermögensabschöpfung. So heißt es in Art. 8 der „Verordnung über restriktive Maßnahmen angesichts der Handlungen Russlands, die die Lage in der Ukraine destabilisieren“ (die zuletzt durch Verordnung [EU] 2022/879 des Rates vom 3.6.2022 geändert worden ist): „Die Mitgliedstaaten legen für Verstöße gegen diese Verordnung Sanktionen, auch strafrechtliche Sanktionen, fest und treffen alle zur Sicherstellung ihrer Anwendung erforderlichen Maßnahmen. Die vorgesehenen Sanktionen müssen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein. Die Mitgliedstaaten ergreifen ferner geeignete Maßnahmen zur Einziehung der Erträge aus solchen Verstößen“. Eine Verpflichtung zur Strafbewehrung und zur strafrechtlichen Einziehung kann daraus – trotz des ambivalenten Wortlauts – aber nicht abgeleitet werden, weil entsprechende Vorgaben nur durch eine auf Art. 83 AEUV zu stützende Richtlinie erfolgen können. 
 

Der Beschlussentwurf und die dazugehörige Mitteilung der Kommission (s. dazu unter 3.) gehen nicht auf die Frage ein, ob anknüpfend an EU-Sanktionsregelungen eine Harmonisierung der Strafbewehrung von Sanktionsverstößen auf Art. 83(2) AEUV hätte gestützt werden können, was eine Erweiterung von Art. 83(1) AEUV entbehrlich machen würde. Nach Art. 83(2) AEUV können durch Richtlinien Mindestvorschriften für die Festlegung von Straftaten und Strafen auf einem Gebiet festgelegt werden, auf dem Harmonisierungsmaßnahmen erfolgt sind, wenn sich die Angleichung der strafrechtlichen Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten als unerlässlich für die wirksame Durchführung der Politik der Union auf diesem Gebiet erweist. Es handelt sich also um eine Art nebenstrafrechtliche Annexkompetenz zur Bewehrung von Verstößen gegen Harmonisierungsvorschriften. Fraglich dürfte insbesondere sein, ob der Grad der bereits erfolgten (nicht-strafrechtlichen) Harmonisierung von Sanktionen und Sanktionsverstößen ausreichend ist, um daran eine Harmonisierung der Strafbewehrung gem. Art. 83(2) AEUV anschließen zu können. Die EU wendet derzeit über 40 verschiedene länder- und sachbezogene Sanktionsregime bzw. sog. restriktive Maßnahmen an und es ist dafür jedenfalls kein übergreifendes Regelwerk vorhanden. 

2. Nach dem Gesetzentwurf der Bundesregierung soll dem Beschlussentwurf zugestimmt werden dürfen (Art. 1; Art. 2 regelt das Inkrafttreten). In der Begründung heißt es, dass angesichts der Vielzahl von länder- und sachbezogene Sanktionsregimen bzw. sog. restriktiven Maßnahmen eine EU-weite Mindestharmonisierung auf dem Gebiet des Sanktionsstrafrechts notwendig sei, um der wachsenden Fragmentierung auf nationaler Ebene von Definition und Durchsetzung von Verstößen gegen EU-Sanktionen entgegenzuwirken (RegE, S. 5). Die Entwurfsbegründung nimmt dabei Bezug auf die Feststellungen der Kommission, wonach die nationalen Strafverfolgungsbehörden aufgrund der oftmals komplexen und grenzüberschreitenden Sachverhalte mit erheblichen Problemen konfrontiert seien; die EU-weite Zahl der Strafverfahren wegen Sanktionsverstößen sei sehr gering, was ein Hinweis darauf sein könne, dass der Ermittlung und Verfolgung von Verstößen gegen EU-Sanktionen zumindest in einigen Mitgliedstaaten unzureichende Priorität eingeräumt werde (RegE, S. 5 f.). Die Begründung betont, dass der Beschlussentwurf noch keine konkreten Details zu einer auf die erweiterte Kompetenznorm zu stützenden Harmonisierung enthalte und die Diskussion darüber den Verhandlungen über einen entsprechenden Richtlinienvorschlag der Kommission vorbehalten bliebe.

3. Eckpunkte für einen solchen Richtlinienvorschlag hat die Kommission in ihrer ebenfalls am 25.5.2022 herausgegebenen Mitteilung über eine „Künftige Richtlinie über strafrechtliche Sanktionen für den Verstoß gegen restriktive Maßnahmen der Union“ (COM[2022] 249 final) skizziert. Nach dem Anhang der Mitteilung (COM[2022] 249 final ANNEX) soll der Richtlinienvorschlag neben Vorschriften zu Anwendungsbereich und Definitionen (Annex, S. 1 f.) insbesondere Vorgaben zur Strafbewehrung von folgenden Verstößen enthalten (Annex, S. 2 f.):

  • die direkte oder indirekte Bereitstellung von Geldern oder wirtschaftlichen Ressourcen für eine benannte Person/Organisation oder zu deren Gunsten;
  • die unterlassene Sicherstellung von Geldern oder wirtschaftlichen Ressourcen, die sich im Besitz einer gelisteten Person oder Organisation befinden oder von dieser gehalten oder kontrolliert werden;
  • die Mitwirkung an verbotenen Finanztätigkeiten, z.B. die Bereitstellung verbotener Darlehen oder Kredite;
  • die Beteiligung an verbotenen Handels-, Geschäfts- oder sonstigen Tätigkeiten wie der Ein- oder Ausfuhr von Waren und Technologien, die Gegenstand von Handelsverboten sind, oder die Erbringung verbotener Dienstleistungen;
  • der Verstoß gegen geltende Bedingungen im Rahmen von Genehmigungen, die von den zuständigen Behörden erteilt wurden;
  • die Nichteinhaltung jeglicher Informationspflichten gegenüber den Behörden, z.B. der Verpflichtung, Vermögenswerte anzugeben, die sich im Besitz einer benannten Person oder Organisation befinden oder von dieser gehalten oder kontrolliert werden;
  • die Mitwirkung an Handlungen oder Tätigkeiten, mit denen direkt oder indirekt versucht wird, die restriktiven Maßnahmen wissentlich und absichtlich zu umgehen, u.a. durch Beteiligung an Systemen zur Verschleierung der Vermögenswerte oder der Beteiligung benannter Personen/Organisationen, durch Unterstützung der Adressaten restriktiver Maßnahmen, um deren Auswirkungen zu umgehen, oder durch Bereitstellung irreführender Informationen für Behörden;
  • die Nichtmeldung eines Verstoßes gegen restriktive Maßnahmen oder Tätigkeiten, mit denen unter Verstoß gegen eine spezifische Meldepflicht Maßnahmen umgangen werden sollen.

In Deutschland sind Sanktionsverstöße nach §§ 17–19 AWG mit Strafe bzw. Geldbuße bewehrt. Mit dem Sanktionsdurchsetzungsgesetz I ist eine strafbewehrte Anzeigepflicht für Sanktionsbetroffene hinzugekommen (§§ 23a I, III, 18 Vb AWG, s. dazu Busch, wistra 2022, H. 7 R8) und damit eine Bestrafung der „Nichteinhaltung von Informationspflichten“. Auf eine Strafbewehrung von Umgehungsverboten hat der deutsche Gesetzgeber allerdings mit dem Gesetz zur Modernisierung des Außenwirtschaftsrechts von 2013 verzichtet, um Bedenken der Rechtsprechung gegen die Bestimmtheit des früheren Tatbestands Rechnung zu tragen (BT-Drucks. 17/11127, 27). Der BGH hatte zu dem damaligen § 34 IV Nr. 2 AWG ausgeführt, dass eine Auslegung denkbar sei, wonach jede Handlung, die mit dem Ziel unternommen wird, einer an sich mit einer Verbots- oder Gebotsnorm eines EU-Embargos unvereinbaren Aktivität den Schein der Rechtmäßigkeit zu verleihen, bereits als vollendete Straftat zu ahnden wäre. Ein derartiges Rechtsverständnis hätte nach Auffassung des BGH nicht nur eine uferlose Ausdehnung und Vorverlagerung der Strafbarkeit zur Folge gehabt, sondern auch das für die Strafvorschriften des AWG geltende System der abgestuften Strafbarkeit von Vorbereitung, Verabredung, Versuch und Vollendung für ein dem Umgehungsdelikt zugrunde liegendes Hauptdelikt aufgelöst. Der BGH hatte daher „unabhängig von der verfassungsrechtlichen Problematik“ eine einschränkende systematische Auslegung vorgenommen, wonach die Strafbarkeit wegen eines Umgehungsdelikts nicht weitergehen kann als die Strafbarkeit wegen eines Verstoßes gegen das vom Umgehungstatbestand in Bezug genommene Verbot oder Gebot (BGH v. 23.4.2010 – AK 2/10, Rn. 31).

Als weiteres Regelungselement für eine zukünftige Richtlinie nennt die Kommission Sanktionen gegen juristische Personen, die – wie üblich – wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein müssen (Annex, S. 4). Zu den Sanktionen sollen nicht nur Geldbußen oder Geldstrafen gehören, sondern auch der vorübergehende Ausschluss vom Zugang zu öffentlicher Finanzierung, darunter auch Ausschreibungsverfahren, Beihilfen und Genehmigungen, das vorübergehende oder dauerhafte Verbot der Ausübung einer Geschäftstätigkeit, die Entziehung von Genehmigungen und Zulassungen für Tätigkeiten, die zur Begehung der Straftat geführt haben, die Unterstellung unter gerichtliche Aufsicht, die gerichtlich angeordnete Auflösung und die vorübergehende oder endgültige Schließung von Einrichtungen, die zur Begehung der Straftat genutzt wurden. Erwogen wird von der Kommission schließlich auch ein umsatzbezogenes Höchstmaß der Geldbuße, d.h. das Höchstmaß würde einem bestimmten Prozentsatz des weltweiten Gesamtumsatzes der juristischen Person im Geschäftsjahr vor der Entscheidung zur Verhängung einer Geldbuße entsprechen (Annex, S. 4; zu dem ähnlichen Katalog im Kommissionsvorschlag für eine Richtlinie über den strafrechtlichen Schutz der Umwelt s. dazu Busch, wistra 2022, H. 6 R8).

Darüber hinaus sollen geregelt werden: erschwerende und mildernde Umstände (Annex, S. 4), die gerichtliche Zuständigkeit (also das internationale Strafanwendungsrecht), Verjährungsfristen (Annex, S. 5), die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten, den Organen, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union sowie mit Drittstaaten (Annex, S. 6) und der Hinweisgeberschutz (Annex, S. 7).

Die Kommission hebt den Zusammenhang mit dem zeitgleich zu ihrer Mitteilung vorgelegten Vorschlag für eine Richtlinie über die Abschöpfung und Einziehung von Vermögenswerten hervor (COM[2022] 245 final; s. dazu Busch, wistra 2022, H. 7 R8, R9 f.). Diese Richtlinie soll auch für die Vermögensabschöpfung bei den zu harmonisierenden Sanktionsstraftaten gelten und enthält zudem Vorschriften zum Aufspüren und Einfrieren von sanktioniertem Vermögen (Mitteilung, S. 4).

Die Kommission hat erklärt, dass sie nach erfolgter Erweiterung der Kompetenznorm als zweiten Schritt unverzüglich einen Richtlinienvorschlag zur Angleichung der strafrechtlichen Definitionen und der Strafen unterbreiten könnte (Mitteilung, S. 4).

Oberstaatsanwalt beim BGH (Referatsleiter im BMJ) Markus Busch LL.M. (Columbia University), Berlin
Der Text gibt ausschließlich die persönliche Meinung des Verfassers wieder.


Verlag C.F. Müller

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