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Steuerhinterziehung in Hamburg

Aus wistra 10/2022

Der Hamburger Senat sah sich im Rahmen eines parlamentarischen Vorgangs (Drs. 22/8597) zu folgenden einleitenden Hinweisen veranlasst:

„Die Bekämpfung und Vermeidung von Steuerhinterziehung hat für die Hamburger Steuerverwaltung höchste Priorität. Die Hamburger Steuerverwaltung ist insgesamt darauf ausgerichtet, Steuern zutreffend festzusetzen und zu erheben. Hierzu werden die internen Abläufe durch interne und externe Prüfungen laufend überprüft und kontinuierlich verbessert.

Die Außenprüfung ist ein Bestandteil des gesamten Steuerfestsetzungsverfahrens. Sie dient entsprechend der allgemeinen Zielsetzung der Steuerverwaltung dazu, durch die intensivere Überprüfung der Richtigkeit erklärter und veranlagter Einkünfte die Steuergerechtigkeit zu steigern. Nach der Überprüfung der steuerlichen Erklärungen im Innendienst werden Fälle mit einem dort erkannten besonderen Steuerausfallrisiko im Außendienst vor Ort geprüft (insbesondere durch Betriebs- und Umsatzsteuersonderprüfungen sowie durch (unangekündigte) Nachschauen u.a. im Bereich der Umsatzsteuer und bei Bargeldbetrieben). Anlass einer Überprüfung kann auch Kontrollmaterial aus dem In- und Ausland sein. Zusätzlich erfolgt eine Überprüfung im Rahmen einer Zufallsauswahl. Außenprüfungen werden risikoorientiert unter effizienter Nutzung der zur Verfügung stehenden Ressourcen bei Betrieben aller Größenklassen durchgeführt.

Gerade die Vermeidung und Bekämpfung von Steuerhinterziehung ist eine wichtige Daueraufgabe der Steuerverwaltung in Zusammenarbeit mit anderen Behörden, insbesondere der Staatsanwaltschaft. Sowohl der Innen- als auch der Außendienst der Steuerverwaltung sind hinsichtlich möglicher Steuerstraftaten und deren Erkennung sensibilisiert und entsprechend ausgebildet. Um den Personalbestand der Steuerverwaltung zu sichern und perspektivisch zu erhöhen, hat der Senat eine große Ausbildungsoffensive gestartet (siehe Drs. 21/17789 und 21/17890) und die Zahl der Anwärterinnen und Anwärter, die eine Ausbildung beziehungsweise ein Studium in der Steuerverwaltung beginnen, deutlich erhöht. Diese Ausbildungsoffensive wird auch in den kommenden Jahren fortgesetzt.

Fälle, in denen im Rahmen der Veranlagung oder bei einer Prüfung im Außendienst Anhaltspunkte für eine mögliche Steuerhinterziehung auffallen, werden dem für die Verfolgung von Steuerstraftaten zuständigen Finanzamt für Prüfungsdienste und Strafsachen zur weiteren Prüfung vorgelegt. Liegt ein Anfangsverdacht für eine Steuerhinterziehung gemäß § 370 Abgabenordnung (AO) vor, wird diese in jedem Einzelfall verfolgt.

Die Bemessung des in der Finanzverwaltung einzusetzenden Personals bemisst sich bundesweit nach einem einheitlichen Bemessungsmuster. Die Entwicklung der Betriebszahlen fließt als eines von verschiedenen Kriterien in dieses Muster mit ein.“

Zu potentiellen Steuerhinterziehungsrisiken wird ausgeführt, dass hohe Steuerhinterziehungsbeträge häufig im Bereich des bandenmäßig organisierten Umsatzsteuerbetruges und der Steuerhinterziehung im Bereich der Dienstleistungsketten bekannt seien. Belastbare Grundlagen, die eine fundierte Schätzung des für Hamburg aus Steuerstraftaten entstehenden Steuerschadens ermöglichen, seien schwer zu ermitteln. Insbesondere seien seriöse Ableitungen aus entdeckten Taten nicht möglich. Die Finanzverwaltung tausche sich zu verdächtigen und entdeckten Betrugsmustern laufend bundes- und europaweit aus. Teil des Austausches seien regelmäßig einberufene Treffen hochspezialisierter Fachprüfer Hamburger Finanzämter auf Bundesebene.

Die Hamburger Finanzverwaltung ist ausweislich der Darstellung des Senats zurzeit durch eine Ermittlungsgruppe Cum/Ex an den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Köln beteiligt. Um kapitalmarktgetriebene Steuergestaltungsmodelle noch schneller erkennen und angemessen darauf reagieren zu können, sei geplant, flankierend zu den im Finanzamt für Großunternehmen in Hamburg eingesetzten und auf die Prüfung des Kapitalmarkts spezialisierten Außenprüfern eine Taskforce auf Ebene der Finanzbehörde einzurichten. Soweit zur zielgerichteten Verfolgung von Hinterziehungsmodellen Spezialisierungen erforderlich sind, seien im Finanzamt für Prüfungsdienste und Strafsachen gesonderte Sachgebiete und Ermittlungsgruppen („EG“) wie die EG Leaks (Panama Papers, Lux Leaks, Dubai Land Department usw.) und Rotlicht sowie die Sondersachgebiete für Dienstleistungsketten und zur Umsatzsteuerbetrugsbekämpfung eingerichtet worden.

Neben Ausführungen zum Personalbedarf, zur Personalentwicklung, zur Ausbildung sowie zu Lohnsteuer- und Umsatzsteueraußenprüfungen wird auch zur Umsatzsteuer-Nachschau berichtet:

„Bei der Umsatzsteuer-Nachschau handelt es sich um eine von mehreren effektiven Maßnahmen zur Bekämpfung und Vorbeugung des Umsatzsteuerbetrugs. Nachschauen dienen vorrangig der Vorfeldermittlung im Zusammenhang mit der Aufnahme einer unternehmerischen Tätigkeit, der Feststellung, ob ein Unternehmer unter der von ihm angegebenen Anschrift anzutreffen ist, und zur Überprüfung von steuerlich relevanten Unterlagen. Das Instrument der Nachschau ergänzt somit andere Maßnahmen wie Betriebsprüfungen, Umsatzsteuersonderprüfungen und die Ermittlungshandlungen des Innendienstes. 

Wird die Umsatzsteuer-Nachschau ergänzend zu einer oder mehreren anderen Maßnahmen (zum Beispiel Umsatzsteuersonderprüfung) eingesetzt, so wird das steuerliche Mehrergebnis regelmäßig nicht bei der Nachschau, sondern bei einer der anderen durchgeführten Maßnahmen erfasst. Eine Aufteilung des steuerlichen Mehrergebnisses auf die einzelnen durchgeführten Maßnahmen entsprechend ihres Aufdeckungsanteils am nachzuversteuernden Sachverhalt ist nicht möglich, sodass nachfolgend nur die Mehrergebnisse ausgewiesen werden können, die unmittelbar auf eine Umsatzsteuer-Nachschau zurückzuführen sind.“

 

Jahr Gesamtzahl Mehrergebnis (in EUR)
2010 1.436 745.878
2011 2.367 5.101.652
2012 1.876 822.824
2013 1.867 8.365.361
2014 1.982 448.132
2015 1.910 1.466.652
2016 1.682 1.416.406
2017 1.931 784.903
2018 1.952 903.292
2019 1.702 15.813.415
2020 901 438.118
2021 686 805.767


Eine statistische Erfassung der Umsatzsteuer-Nachschauen erfolgt ausweislich der Hinweise des Senats grundsätzlich nicht in Abhängigkeit vom Gründungsdatum des Unternehmens. Seit 2010 wurden mindestens 1.878 Nachschauen bei im vorhergehenden Kalenderjahr neu gegründeten Unternehmen durchgeführt sowie mindestens 810 Nachschauen im Kalenderjahr der Gründung. Umsatzsteuer-Nachschauen würden stets vor Ort durchgeführt.

Zu Prüfungen durch den Steuerfahndungsdienst werden folgende Zahlen benannt:

2010 583
2011 671
2012 575
2013 786
2014 1.990
2015 1.930
2016 2.157
2017 1.934
2018 2.145
2019 2.611
2020 2.098
2021 1.888

 

Mehreinnahmen werden wie folgt beziffert:
 

Jahr Bestandskräftige Mehrsteuern (in EUR) Vorläufig festgestellte Mehrsteuern (in EUR)
2010 118.912.388  
2011 29.189.423  
2012 27.231.389  
2013 60.986.761  
2014 36.137.145  
2015 74.728.579  
2016 44.090.662  
2017 21.519.616  
2018 113.191.765  
2019   22.448.797
2020   102.439.168
2021   63.996.352

 

Bei den eingeleiteten Strafverfahren bietet sich folgendes Bild:
 

2010 1.739
2011 1.172
2012 1.319
2013 1.765
2014 1.152
2015 1.002
2016 779
2017 825
2018 822
2019 683

 

Die Hamburger Strafverfahrensstatistik im Bereich des Steuerstrafrechts (§ 370 AO) sieht wie folgt aus:

Jahr Strafbefehle Urteile Haftstrafen
(Jahre/Monate)
2010 226 77 74/4
2011 174 88 132/3
2012 178 71 62/4
2013 156 68 74/6
2014 240 66 91/0
2015 197 53 45/1
2016 155 67 68/3
2017 167 82 95/8
2018 127 77 69/0
2019 106 41 29/4
2020 112 31 21/8
2021 134 41 24/4

 

Fälle, in denen nach § 398a AO von der Strafverfolgung abgesehen wird, werden in Hamburg allein durch die Staatsanwaltschaft bearbeitet. Insoweit ergibt sich folgendes Bild:

Jahr der Erledigung Anzahl der Verfahren
2013 12
2014 47
2015 40
2016 16
2017 13
2018 22
2019 24
2020 21
2021 14

Bei den eingeleiteten Strafverfahren bietet sich folgendes Bild:

Durch die Hamburger Finanzämter wurden aus Cum/Ex-Geschäften (= Steuergestaltungen, bei denen zu Unrecht – weil doppelt oder mehrfach – Anrechte auf Kapitalertragsteuererstattung auf der Ebene der Depotinhaber bescheinigt worden sind) 295.284.450,89 Euro an Steuern zurückgefordert:

Jahr Bestandskräftige Mehrsteuern
in EUR)
2006 2.495.824,00
2007 41.660.319,00
2008 80.449.605,07
2009 67.737.889,32
2010 65.842.794,25
2011 37.098.019,25


Bei der Polizei ist das Fachkommissariat Finanzermittlungen/Gemeinsame Finanzermittlungsgruppe (GFG) des Landeskriminalamtes (LKA 66) für die Bearbeitung von Verfahren im Zusammenhang mit dem Vorwurf der Geldwäsche zuständig. Zu den weiteren Aufgaben des LKA 66/GFG gehören im Wesentlichen allgemeine Finanzermittlungen, die Initiierung vermögensabschöpfender Maßnahmen, die Vollstreckung erlassener Arreste und die Durchführung von Pfändungen.

In der GFG arbeiten neben den Mitarbeitenden des LKA 66 zur Unterstützung der Ermittlungen Mitarbeitende der Bundespolizei, der Zollfahndung und der Steuerfahndung Hamburg. Im Rahmen der Amtshilfe gibt es regelmäßig gegenseitige Unterstützungsmaßnahmen bei Ermittlungsverfahren, koordiniert werden die Verfahren von der jeweils zuständigen Dienststelle.

Beim Finanzamt für Prüfungsdienste und Strafsachen in Hamburg wurden ausweislich der Darstellung des Senats in den zurückliegenden Jahren die nachfolgenden Sondereinheiten eingerichtet:
 

Bezeichnung Aufgabengebiet
Zentralstelle zur Umsatzsteuerbetrugsbekämpfung
(ZEUS)
Systematische Umsatzsteuerbetrugsbekämpfung
Sondersachgebiet zur Umsatzsteuerbetrugsbekämpfung Bearbeitung großer Umsatzsteuer-Karussellfälle
Sondersachgebiet Dienstleistungsketten Abdeck- und Scheinrechnungen im Dienstleistungsgewerbe
Ermittlungsgruppe Rotlicht Überwachung des Prostitutionsgewerbes
Servicestelle Steueraufsicht (ServiSta) Steueraufsicht in verschiedenen Prüffeldern
VAM Vermögensabschöpfung (Arrest und Einziehung)
Ermittlungsgruppe Leaks Datenleaks (Panama Papers etc.)
Ermittlungsgruppe Cum/Ex Ermittlungsgruppe im Auftrag der StA Köln
Korruption Sonderzuständigkeit für Mitteilungen nach § 4 Abs. 5 Nr. 10 EStG und Zusammenarbeit mit der StA Abt. 57
Partnerstelle Steuer Zusammenarbeit mit der Finanzkontrolle Schwarzarbeit FKS
Vorprüfstelle Vorprüfung der Eingänge auf strafrechtliche Relevanz
Geldwäsche Bearbeitung von Geldwäscheverdachtsmeldungen der FIU
 
Verbindungsbeamtin beim LKA Schnittstelle zum LKA
Schwerpunktbearbeitung Kassen Registrierkassen- und Spielgerätemanipulationen


Insgesamt sind in den Jahren 2010 bis 2021 beim Finanzamt für Prüfungsdienste und Strafsachen Hamburg 6.116 Selbstanzeigen eingegangen. Mit Bezug zu Kapitalanlagen im Ausland seien in den Jahren 2010 bis 2019 insgesamt 3.077 Selbstanzeigen eingereicht worden. Davon beträfen 3.060 Vorgänge Kapitalanlagen in der Schweiz, in Liechtenstein oder Luxemburg, 17 Selbstanzeigen betreffen Kapitalanlagen in sog. Offshore-Ländern. Mit diesen Selbstanzeigen seien insgesamt Kapitalerträge i.H.v. 788.232.203 Euro nachgemeldet worden.

Rechtsanwalt Prof. Dr. Carsten Wegner, Berlin


Verlag C.F. Müller

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