Aus wistra 8/2022
Nachdem Medien berichtet hatten, dass der ehemaligen Bundesregierung der Aufenthaltsort des flüchtigen Ex-Wirecard-Managers Jan Marsalek seit Anfang 2021 bekannt gewesen sein soll und seitens russischer Stellen auch eine mögliche Vernehmung Jan Marsaleks angeboten worden sei, wurde dies zum Gegenstand eines parlamentarischen Vorgangs im Bundestag. So wurde u.a. gefragt:
„1. Ist es nach Kenntnis der Bundesregierung zutreffend, dass der Bundesnachrichtendienst (BND) das Bundeskanzleramt 2021 über den Aufenthaltsort von Jan Marsalek und das russische Angebot einer Kontaktaufnahme mit Jan Marsalek informiert hat (...)?
2. Welche Stelle wurde wann genau im Bundeskanzleramt vom BND über vorliegende Informationen zum Aufenthaltsort bzw. über das russische Angebot einer Vernehmung Jan Marsaleks informiert?
3. An welchem Datum und von welcher Stelle wurde die ermittelnde Staatsanwaltschaft München über vorliegende Informationen zum Aufenthaltsort bzw. über das russische Angebot einer Vernehmung Jan Marsaleks informiert? (...)
4. Aus welchen Gründen und auf welcher Rechtsgrundlage wurde die ermittelnde Staatsanwaltschaft München über vorliegende Informationen zum Aufenthaltsort bzw. über das russische Angebot einer Vernehmung Jan Marsaleks nicht unmittelbar nach Bekanntwerden der Informationen im Bundeskanzleramt informiert?“
Die Bundesregierung weist in einer sog. Vorbemerkung darauf hin (BT-Drucks. 20/2003), dass die Beantwortung einzelner Fragen solche Informationen betrifft, „die in besonders hohem Maße das Staatswohl berühren und daher selbst in eingestufter Form nicht beantwortet werden können“. Die Bundesregierung sei nach sorgfältiger Abwägung der widerstreitenden Interessen zu der Auffassung gelangt, dass eine Beantwortung dieser Fragen nicht erfolgen könne. Das verfassungsrechtlich verbürgte Frage- und Informationsrecht des Deutschen Bundestages gegenüber der Bundesregierung finde seine Grenzen in den gleichfalls Verfassungsrang genießenden schutzwürdigen Interessen des Staatswohls. Eine Offenlegung der angefragten Informationen berge die Gefahr, dass Einzelheiten zur konkreten Methodik und zu in hohem Maße schutzwürdigen spezifischen Fähigkeiten des BND bekannt würden. Infolgedessen könnten sowohl staatliche als auch nichtstaatliche Akteure Rückschlüsse auf spezifische Vorgehensweisen und Fähigkeiten des BND ziehen. Zudem könnten Grundrechte Dritter berührt werden, was negative Auswirkungen auf die Kooperationsbereitschaft Dritter dem BND gegenüber haben könnte. Dies könnte folgenschwere Einschränkungen der Informationsgewinnung und Analysefähigkeit zur Folge haben, womit letztlich der gesetzliche Auftrag des BND – die Sammlung und Auswertung von Informationen über das Ausland, die von außen- und sicherheitspolitischer Bedeutung für die Bundesrepublik Deutschland sind (§ 1 Abs. 2 BNDG) – nicht mehr sachgerecht erfüllt werden könnte. Die Gewinnung von auslandsbezogenen Informationen sei für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland und für die Aufgabenerfüllung des BND jedoch unerlässlich. Sofern solche Informationen entfallen oder wesentlich zurückgehen sollten, würden empfindliche Informationslücken auch im Hinblick auf die Sicherheitslage der Bundesrepublik Deutschland drohen. Selbst eine VS-Einstufung und Hinterlegung der angefragten Informationen in der Geheimschutzstelle des Deutschen Bundestages würde ihrer erheblichen Bedeutung für die Aufgabenerfüllung des BND nicht ausreichend Rechnung tragen. Die angefragten Inhalte würden die Arbeitsweise des BND so detailliert beschreiben, dass eine Bekanntgabe auch gegenüber einem begrenzten Kreis von Empfängern ihrem Schutzbedürfnis nicht Rechnung tragen kann. Bei einem Bekanntwerden der schutzbedürftigen Informationen wäre kein Ersatz durch andere Instrumente der Informationsgewinnung möglich. Hieraus ergebe sich, dass die erbetenen Informationen in ihrer Detailtiefe derart schutzbedürftige Geheimhaltungsinteressen berühren, dass das Staatswohl gegenüber dem parlamentarischen Informationsrecht in diesem besonderen Einzelfall wesentlich überwiegt. Insofern müsse ausnahmsweise das Fragerecht der Abgeordneten gegenüber dem Geheimhaltungsinteresse der Bundesregierung zurückstehen. Dabei sei der Umstand, dass die Antwort nicht gegeben werden kann, weder als Bestätigung noch als Verneinung des angefragten Sachverhalts zu werten.
Rechtsanwalt Prof. Dr. Carsten Wegner, Berlin