Aus wistra 1/2022
Im Rechtsausschuss des Landtags von NRW wurde im November 2021 zu sog. Cum/Cum-Geschäfte berichtet (Vorlage 17/6002). Zitiert werden Berichte der Generalstaatsanwaltschaften Köln („CumCum-Verfahren sind im hiesigen Geschäftsbereich allein bei der Staatsanwaltschaft Köln anhängig“) und Düsseldorf („...sind sämtlich vor deren Abschluss an die Staatsanwaltschaft Köln abgegeben worden“).
Das Ministerium der Finanzen wird wie folgt zitiert:
„Steuerausländer unterliegen mit ihren im Inland erzielten Dividenden grundsätzlich einem definitiv wirkenden Steuerabzug in Höhe von 25 Prozent. Die einschlägigen Doppelbesteuerungsabkommen sehen jedoch in der Regel einen Erstattungsanspruch in Höhe von 10 Prozentpunkten vor, sodass die Steuerbelastung für den ausländischen Dividendenempfänger letztlich auf 15 Prozent reduziert wird.
Cum/Cum-Gestaltungen zeichnen sich dadurch aus, dass die Steuerbelastung ausländischer Investoren durch die kurzfristige Verlagerung von Aktien (z. B. mithilfe einer Wertpapierleihe) vor dem Dividendenstichtag auf einen Steuerinländer (meist Banken, Versicherungen oder Investmentfonds) in Gänze·vermieden werden soll. Da der Steuerinländer durch derartige Geschäfte keinen nennenswerten wirtschaftlichen Vorteil erzielt, kommt es bei ihm im Ergebnis zur vollständigen Anrechnung bzw. Erstattung der zunächst einbehaltenen inländischen Kapitalertragsteuer.
Der Steuerausländer wandelt mithilfe solcher Gestaltungen im Ergebnis einen im Inland steuerpflichtigen Dividendenertrag in einen im Inland nicht mehr steuerbaren Vorteil (z. B. Veräußerungsgewinn oder Leihgebühr) um.
Bereits mit BMF-Schreiben vom 11.11.2016 (BStBI I 2016, 1324) und vom 17.07.2017 (BStBI I 2017, 986) hat die Finanzverwaltung zur steuerlichen Behandlung von Cum/Cum-Gestaltungen Stellung genommen. Grundlage beider BMF-Schreiben war das BFH-Urteil vom 18.08.2015 (IR 88/13), wonach der vom Steuerausländer bewirkte Steuervorteil beim Steuerinländer zurückzufordern ist. Da die Steuerbelastung auf Dividenden beim Steuerausländer durch Doppelbesteuerungsabkommen im Regelfall auf 15 Prozent begrenzt wird, sah sich die Finanzverwaltung nach der obenstehenden BFH-Entscheidung dazu veranlasst, nur diesen ,echten' Steuervorteil des Steuerausländers in Höhe von 15 Prozent beim Steuerinländer einzufordern. Zudem ging die Finanzverwaltung zum damaligen Zeitpunkt davon aus, dass aufgrund der europarechtlich garantierten Kapitalverkehrsfreiheit eine Steuernacherhebung nur für Zeiträume ab dem 01.03.2013 möglich wäre, wenn der Anleger seinen Sitz und Ort der Geschäftsleitung innerhalb der EU/EWR hat, da der Steuerausländer für Dividendenzuflüsse bis zu diesem Zeitpunkt aufgrund der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 20.10.2011 (Rs. C-284/09) ohnehin einen Erstattungsanspruch gegenüber dem Steuerfiskus hätte geltend machen können.
Durch die jüngste Entscheidung des Hessischen Finanzgerichts vom 28.01.2020 (4 K 890/17) hat sich die Sichtweise der Finanzverwaltung geändert. Der Fokus verlagert sich nunmehr von der Betrachtung des Steuerausländers auf die Betrachtung des Steuerinländers. Unter Zugrundlegung der geänderten Betrachtungsweise erscheint es nunmehr vertretbar, die bisher beim Steuerinländer angerechnete bzw. erstattete Kapitalertragsteuer in vollem Umfang zurückzufordern. Auch treten bei geändertem Betrachtungswinkel die oben genannten europarechtlichen Vorbehalte in den Hintergrund, sodass auch ein Fallaufgriff für Dividendenzahlungen, die vor dem 01.03.2013 erfolgt sind, rechtlich vertretbar erscheint. In Nordrhein-Westfalen wurden bisher Fälle im niedrigen zweistelligen Bereich mit CumCum-Gestaltungen aufgegriffen, die aufgrund der veränderten Rahmenbedingen neu bewertet werden müssen.“
Rechtsanwalt Prof. Dr. Carsten Wegner, Berlin