Aus wistra 1/2021
Eines der absehbar größten strafrechtlichen Ermittlungsverfahren, die es in Deutschland jemals gab, beschäftigt inzwischen auch die Parlamente. So wurde im Bayerischen Landtag gefragt, wie sich die Staatsregierung die Tatsache erklärt, dass die Staatsanwaltschaft München I den Hinweisen auf Wirtschaftsstraftaten der Wirecard AG bzw. von Mitarbeitern der Wirecard AG von Zeugen und Beschuldigten in einem im Wesentlichen in den Jahren 2010 bis 2012 in München laufenden Verfahren gegen eine Gruppe von Börsenjournalisten und Anlegern wegen des Verdachts kursmanipulierender Netzwerktaten nicht oder zumindest nicht hinreichend nachgegangen ist.
In der Antwort wird dargelegt, dass auf Grundlage einer am 8.2.2010 eingegangenen Strafanzeige die Staatsanwaltschaft München I ein Ermittlungsverfahren wegen des Anfangsverdachts der Geldwäsche (§ 261 StGB) im Zusammenhang mit der Bereitstellung von Zahlungsmöglichkeiten für Online-Glücksspiel in den USA eingeleitet hat. In der Folge habe die Staatsanwaltschaft bis in das Jahr 2012 umfangreiche Ermittlungen veranlasst, insbesondere eine große Anzahl an Zeugenvernehmungen, einen regelmäßigen Informationsaustausch mit der BaFin und Abklärungen der US-amerikanischen Rechtslage zum Online-Glücksspiel. Zur Feststellung, ob die angezeigten Sachverhalte nach den maßgeblichen Vorschriften in den einzelnen hierfür zuständigen US-Bundesstaaten Straftaten, insbesondere die unerlaubte Veranstaltung eines Glücksspiels, und damit Vortaten i.S.v. § 261 StGB begründen, seien gutachterliche Stellungnahmen eingeholt worden. Letztlich habe ein hinreichender Tatverdacht nicht ermittelt werden können, weshalb das Ermittlungsverfahren am 22.2.2012 nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden sei.
Zur aktuellen Verfahrenshistorie wird ausgeführt, dass der Staatsanwaltschaft München I aufgrund einer Presseberichterstattung im Jahr 2019 bekannt wurde, dass die Wirecard AG im Oktober 2019 der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG einen forensischen Sonderprüfungsauftrag erteilt hatte, nachdem in Veröffentlichungen der Financial Times kritisch über das sog. Drittpartnergeschäft der Wirecard AG berichtet worden war. Das Ergebnis dieser Sonderprüfung sei am 27.4.2020 auf der Homepage der Wirecard AG einsehbar gewesen und kurz danach der Staatsanwaltschaft auch von den anwaltlichen Vertretern der Wirecard AG zur Kenntnis gebracht worden. Das Polizeipräsidium München habe sich ab dem 29.4.2020 mit dem Bericht der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft befasst. Am 2.6.2020 habe die BaFin bei der Staatsanwaltschaft München I Strafanzeige gegen den Vorstand der Wirecard AG wegen Marktmanipulation erstattet. Gegenstand der Strafanzeige sei die Veröffentlichung von zwei Ad-hoc-Mitteilungen der Wirecard AG am 12.3.2020 bzw. 22.4.2020 gewesen, die irreführende Angaben zu einer laufenden Sonderprüfung enthalten haben sollen. Auf Grundlage der eigenen Prüfungen und der von der BaFin vorgelegten weiteren Informationen habe die Staatsanwaltschaft noch am selben Tag ein Ermittlungsverfahren gegen mehrere Mitglieder des Vorstands wegen des Anfangsverdachts eines WpHG-Deliktes eingeleitet und bereits am 3.3.2020 den Erlass eines Durchsuchungsbeschlusses für die Geschäftsräume des Unternehmens veranlasst (Drs. 18/10152).
Rechtsanwalt Prof. Dr. Carsten Wegner, Berlin